Prof. Amanda D. Rodewald im Naturschutzgebiet Cornell Sapsucker Woods Sanctuary
ZEISS Beyond Talks

Interview mit Prof. Dr. Amanda D. Rodewald

Die Professorin Dr. Amanda D. Rodewald ist Leiterin des Forschungsbereichs Ornithologie und Avian Population Studies an der Cornell University im US-Bundesstaat New York. Ihre Forschungsarbeit zur intrinsischen Verbindung zwischen Vögeln und Menschen trägt dazu bei, smartere Maßnahmen zum weltweiten Naturschutz zu finden.1

Seit über 175 Jahren stellt man sich bei ZEISS die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern? Diese Vision war für ZEISS der Anlass, in der Gesprächsreihe ZEISS Beyond Talks den Austausch mit Vordenkern und führenden Intellektuellen aus der ganzen Welt zu suchen und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Visionen, ihre Leidenschaften und aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Welt zu sprechen.

Sie gehören zu den bekanntesten Stimmen in Bereich der Ornithologie. Warum haben Sie sich für dieses vielseitige Fachgebiet entschieden?

Mein Werdegang unterscheidet sich von dem vieler Kolleginnen und Kollegen. Bei den meisten ist es so, dass die Leidenschaft für Vogelkunde schon in der Kindheit beginnt. Für mich war es eher das Draußensein. Ich bin schon immer gern gewandert. Ich bin im US-Bundesstaat New York aufgewachsen und als Kind liebte ich es, in den Straßen zu spielen und auf Bäume zu klettern. Die Natur – selbst innerhalb von Grünflächen in der Stadt – war der Grund, warum ich mich für dieses Fachgebiet entschieden habe.

Je mehr ich nämlich über Vögel gelernt habe, desto mehr habe ich mich für sie interessiert. Ich habe Vögel als Studienobjekt zu schätzen gelernt, denn sie lehren uns sehr viel über unsere Welt.

Die Verbindung zwischen Vögeln und Menschen ist eines der Kernthemen in Ihrer Forschungsarbeit. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Das Beobachten der Vogelwelt kann einen echten Beitrag zur Lösung allgemeiner Umweltprobleme leisten, weil Vögel hervorragende Indikatoren für Umweltbedingungen und Signalgeber für Veränderungen sind. Wir teilen mit Vögeln dieselbe Umwelt. Deshalb zeigen uns Veränderungen in den Vogelpopulationen, dass sich die ökologischen Bedingungen um uns herum ändern. Wenn eine Umgebung nicht gesund genug ist, um eine Vogelpopulation zu erhalten, dann tut diese Umgebung wahrscheinlich auch uns Menschen nicht gut.

Da es Vögel wirklich überall gibt, sind sie eine Art Frühwarnsystem. In beinahe jedem Lebensraum der Welt leben verschiedenste Vogelarten. Viele Spezies sind auf die Anforderungen ihres Lebensraums angepasst und reagieren hochempfindlich auf Veränderungen in ihrer Umgebung.

Wenn es um den Umweltschutz geht, besteht oft der Irrglaube, wir müssen uns zwischen Vogelschutz und Maßnahmen für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen entscheiden. Aber diese beiden Dinge schließen sich nicht aus. Viele der Maßnahmen, die für den Erhalt der menschlichen Gesundheit und des Wohlbefindens nötig sind, sind genau die Maßnahmen, die wir auch für den Vogelschutz ergreifen müssen. Solche Synergien sind effektiv und Vögel helfen uns dabei, diese Zusammenhänge aufzudecken.

Können Sie uns an einem Beispiel erklären, wie das in der Praxis aussieht?

Mein Lieblingsbeispiel und eine Win-Win-Situation, mit der ich mich lange beschäftigt habe, sind Kaffeepflanzen, die im Schatten von Bäumen angebaut werden.

Hierbei wird Kaffee unter dem Kronendach alter Bäume angepflanzt. Diese Bäume sind zum einen für viele Vogelarten ein großartiger Lebensraum, sowohl für einheimische tropische Vögel als auch für neotropische Zugvögel, die den Winter auf Kaffeefarmen verbringen.

Zum anderen bietet schattenangebauter Kaffee für die Kaffeebauern, für die Umwelt und für die gesamte Kaffeebranche eine Reihe von Vorteilen. Werden Kaffeepflanzen im Schatten von Bäumen angebaut, wachsen sie langsamer. Dadurch hat der Kaffee in der Regel eine höhere Qualität und kann einen höheren Preis erzielen.

Die Bäume reichern die Böden mit Nährstoffen an und machen die Kaffeeplantagen produktiver. Sie locken Vögel an, die sich von Schädlingen ernähren – und weniger Schädlinge bedeuten höhere Kaffeeerträge. Dadurch müssen weniger Pestizide und Düngemittel eingesetzt werden, was dann wiederum der menschlichen Gesundheit zugutekommt. Die Bäume stabilisieren auch die Hänge, was die Gefahr von Erdrutschen reduziert.

Unabhängig davon, welcher Fokus gesetzt wird – sei es auf die Qualität des angebauten Kaffees, auf einen guten Kaffeepreis, auf den Schutz der menschlichen Gesundheit oder auf den Vogelschutz – der Ansatz ist immer derselbe: Von Bäumen auf der Kaffeeplantage profitiert jede Seite.

Bild von Prof. Dr. Amanda Rodewald

Wenn eine Umgebung nicht gesund genug ist, um eine Vogelpopulation zu erhalten, dann tut diese Umgebung wahrscheinlich auch uns Menschen nicht gut.

Prof. Dr. Amanda D. Rodewald

Cornell University

Wie würden Sie die Einrichtungen beschreiben, in denen Sie Ihre Forschung betreiben?

Am Cornell Lab of Ornithology und Center for Avian Population Studies gehen wir zunächst von der Perspektive unserer verschiedenen Partnerinnen und Partner sowie Zielgruppen aus, um ihre Bedürfnisse genau zu verstehen.

Das Cornell Lab of Ornithology ist ein fantastischer Ort, aber schwer zu beschreiben! Wir sind nicht nur eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung, die im Bereich der Wissenschaft und Technik innovativ tätig ist. Wir sind auch ein Kompetenz- und Schulungszentrum, das Jahr für Jahr mit Millionen von Menschen weltweit zu tun hat. Beide Arbeitsbereiche verbindet das hohe Engagement, unsere Umwelt und die biologische Vielfalt zu verstehen und zu schützen.

Im Center for Avian Population Studies hingegen setzen wir ganz auf Big Data für unsere wissenschaftliche Forschung und für umweltpolitische Entscheidungen. Das heißt, wir erfassen Daten, um sie dann zu verarbeiten, zu archivieren, zu analysieren und zu interpretieren.

Zu unseren spannendsten Projekten gehören unter anderem die „Precision Conservation“-Projekte. Wir nutzen also die umfangreichen Daten über die Vogelwelt, um den Naturschutz präziser und strategischer auszurichten.

Denn wir brauchen nicht mehr Naturschutz, sondern wir brauchen einen intelligenteren Naturschutz. Es geht hier darum, die richtige Maßnahme zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort zu ergreifen. Dafür sind sehr viele Daten erforderlich. Und die besitzen wir glücklicherweise dank der Unterstützung der vielen Citizen Scientists – also Laienforscherinnen und -forscher – weltweit.

Wie wichtig ist der Beitrag dieser Citizen Scientists? Verändern Laienforscherinnen und -forscher Ihre Arbeitsweise?

Citizen Science ist die Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern, die ein Interesse an Naturschutz und Forschung haben. Sie helfen uns dabei, Daten zu erfassen. So können wir neue Erkenntnisse gewinnen, um bessere Entscheidungen zu treffen. Dieser Ansatz eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten in der Wissenschaft und im Naturschutz, und zwar nicht nur im Hinblick auf den Vogelschutz, sondern auch in einem breiteren Kontext.

Es ist eine tolle Sache, wenn Freiwillige als Citizen Scientists draußen für uns Daten sammeln. Sie haben auch Spaß daran. Für sie ist es nicht nur eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, sondern auch ein aktiver Beitrag zum Umweltschutz. Die von den Citizen Scientists gesammelten Daten helfen Einzelpersonen, Gemeinden und Organisationen, bessere Entscheidungen für die Umgebung zu treffen, in der wir leben.

Wie würden Sie die Bedeutung von Kooperationen in Ihrem Fachgebiet charakterisieren?

Im Naturschutz sind nicht wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diejenigen, welche die Maßnahmen vor Ort umsetzen, sondern unsere Partnerinnen und Partner. Aber wir versuchen, sie mit unserer wissenschaftlichen Forschung und unserer Datenbasis dabei zu unterstützen.

Unsere herausfordernde Aufgabe als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Naturschützende ist es, die nachvollziehbaren und überzeugenden Zusammenhänge zu finden, die uns Menschen wichtig sind. Das ist es, was wir erreichen möchten. Wir arbeiten zum Beispiel auf ein bestimmtes Ziel hin, welches uns wichtig ist, und dann stellt sich heraus, dass es eine Reihe von Synergien mit anderen Themen gibt. Für uns geht es darum, diese Zusammenhänge herzustellen, damit wir die richtigen Kooperationen eingehen können.

Können Sie uns mehr darüber erzählen, wie sich Daten und technologische Entwicklungen auf Ihr Fachgebiet auswirken?

Für die Ornithologie ist es eine spannende Zeit, weil sich mit den Fortschritten in der Technik und Informationstechnologie gerade viel verändert. Die Menge der Daten, über die wir heute verfügen, war noch nie so groß.

Die Ornithologie wird sich transformieren. So werden wir zum Beispiel bald Daten aus verschiedenen Disziplinen integrieren können. Umwelt-DNA (eDNA), Radardaten, Citizen-Science-Daten, Tracking-Daten, Bioakustik und vieles mehr: Das Zusammenführen all dieser Daten wird unser Verständnis von Vogelpopulationen und ihrer Umwelt revolutionieren.

Beim Cornell Lab ist die Online-Datenbank eBird eines unserer Vorzeigeprojekte im Bereich Citizen Science. Ursprünglich wurde sie für Vogelkundlerinnen und -kundler entwickelt, damit sie ihre Beobachtungen mit anderen teilen können. Aber schon immer war das Bedürfnis da, diese Daten auch für die Wissenschaft zu nutzen. Dieser Wunsch wird jetzt nach 20 Jahren langsam Wirklichkeit. Mit mittlerweile mehr als 1,5 Milliarden Beobachtungen von Vögeln aus allen Ländern ist eBird die größte und am schnellsten wachsende Datenbank für Biodiversität der Welt! Dies ist nur durch die Großzügigkeit und das Engagement von Partnerinnen und Partnern sowie fast einer Million Vogelbeobachterinnen und -beobachtern möglich. Es handelt sich hier wirklich um eine globale Zusammenarbeit.

Unsere herausfordernde Aufgabe als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Naturschützende ist es, die nachvollziehbaren und überzeugenden Zusammenhänge zu finden, die uns Menschen wichtig sind.

Prof. Dr. Amanda D. Rodewald

Cornell University

Was inspiriert Sie persönlich und was gibt Ihnen Hoffnung für die Zukunft Ihres Fachgebiets?

Die aktuelle Situation, in der wir uns befinden, erscheint uns manchmal düster. Ich möchte den Ernst der Lage nicht kleinreden, aber es gibt zwei Aspekte, die mich für die Zukunft hoffnungsvoll stimmen.

Zum einen verfügen wir über so viele Daten über Vögel wie nie zuvor. Dieses Wissen ist Macht. Dadurch sind wir in der Lage, Veränderungen in den Vogelpopulationen und der Umwelt zu erkennen. Wir können strategischer vorgehen und zum richtigen Zeitpunkt und an der richtigen Stelle präzisere Maßnahmen für den Natur- und Vogelschutz umsetzen.

Zum anderen bin ich optimistisch, weil wir die Menschen nicht mehr vom Sinn des Naturschutzes und insbesondere des Vogelschutzes überzeugen müssen. Heute besteht unsere Aufgabe darin, die Verbindung zwischen dem, was uns Menschen wichtig ist, und dem Vogelschutz aufzuzeigen. Es ist die Konvergenz der Maßnahmen, die wir unternehmen müssen, die mir Hoffnung macht.