In einem Labor steht Prof. Dr. Benjamin L. Prosser vor Regalen mit verschiedenen wissenschaftlichen Geräten und Vorräten.
ZEISS Beyond Talks

Interview mit Prof. Dr. Benjamin L. Prosser

Dr. Benjamin L. Prosser ist Associate Professor für Physiologie an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania. Als Pionier bei der Erforschung der Mechanobiologie des Herzens entwickelt Prof. Dr. Prosser zudem neue Gentherapien für seltene neurologische Erkrankungen. Zu beiden Forschungsgebieten hat er einen sehr persönlichen Bezug.1

Seit über 175 Jahren stellt man sich bei ZEISS die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern? Diese Vision war für ZEISS der Anlass, in der Gesprächsreihe ZEISS Beyond Talks den Austausch mit Vordenkern und führenden Intellektuellen aus der ganzen Welt zu suchen und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Visionen, ihre Leidenschaften und aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Welt zu sprechen.

Wie sind Sie zur Herzforschung gekommen?

Als ich vor etwa 20 Jahren als Doktorand anfing, war mein Schwerpunkt die Zell- und Molekularbiologie der Skelettmuskulatur im weiteren Sinne. Aber nachdem mein Großvater und mein Onkel beide innerhalb einer Woche an einem plötzlichen Herzstillstand verstarben, verlagerte ich meinen Fokus auf die Herzforschung.

Ich hatte mich ja bereits mit der Erforschung von Muskeln beschäftigt – was das Herz schließlich auch ist – und hatte das Gefühl, dass ich dadurch etwas für meine Familie tun konnte. Der persönliche Bezug zieht sich wie ein roter Faden durch meine gesamte Laufbahn.

Jedenfalls haben wir unser neues Labor an der Penn Medicine 2014 ins Leben gerufen. Unser Forschungsschwerpunkt liegt auf der Erforschung der zytoskelettalen und nuklearen Mechanobiologie des Herzens mit besonderem Fokus auf der Untersuchung des Mikrotubuli-Netzwerks des Herzmuskels.

Bitte erzählen Sie uns mehr über dieses spezielle Forschungsgebiet.

Die Mechanobiologie untersucht die Prozesse, die die Fähigkeit des Herzens steuern, mechanische Kräfte zu erzeugen und seine Leistung in Reaktion auf Reize anzupassen. Wenn Menschen Sport treiben, auf eine Stress- oder Gefahrensituation reagieren oder schwanger sind, ändern sich die Kräfte im Herzen und es erfolgt eine akute sowie eine chronische Anpassung. Das Herz muss innerhalb von Sekunden und Minuten reagieren und die kardiale Leistungsfähigkeit anpassen.

Mit dem neuen Labor wollten wir untersuchen, wie Zellen die für das Pumpen des Herzens und den Blutfluss erforderlichen Kräfte erzeugen. Außerdem wollten wir auf molekularer Ebene verstehen, wie das Herz auf diese sich ändernden Kräfte reagiert.

Was ist der aktuelle Schwerpunkt Ihrer mechanobiologischen Forschung?

Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Erforschung bestimmter Erkrankungen wie der Laminopathie, die auf eine Mutation in einem Bestandteil der Zellkernhülle zurückgeht. Die Lamine bilden im Prinzip das Gerüst, das den Zellkern stabilisiert. Wenn bei Patientinnen oder Patienten jedoch eine Mutation in den Lamin-Genen vorliegt, wird der Zellkern geschwächt und instabil. Dann können Kräfte, denen er normalerweise standhält, zu einer Zerstörung des Zellkerns und zu DNA-Schäden führen. Dies kann schlussendlich den Tod der Herzmuskelzelle und eine Beeinträchtigung der Herzleistung verursachen.

Um das zu verstehen, müssen wir uns bewusst machen, dass der Zellkern einer Herzmuskelzelle bei jedem der zwei Milliarden Schläge, die diese Zelle im Laufe ihres Lebens mitmacht, immer wieder hohen Kontraktionskräften ausgesetzt ist. Dieser derart hohen Belastung hält der Zellkern nur stand, wenn er strukturell verstärkt ist.

Foto von Prof. Dr. Benjamin L. Prosser

Wir haben endlich die Mittel, möglicherweise Erkrankungen zu behandeln, welche die gesamte Menschheitsgeschichte über existiert haben.

Prof. Dr. Benjamin L. Prosser Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania

Lassen Sie uns etwas tiefer eintauchen – wie sieht Ihre Forschung unter dem Mikroskop aus?

Indem wir genau abbilden, wie die Kräfte im Herzen durch das strukturelle Gerüst der Zelle in ihren Kern übertragen werden, können wir genau bestimmen, welche Kräfte Schäden verursachen. Wir haben im Wesentlichen Schwachstellen des Kerns gegenüber einwirkenden mechanischen Kräften identifiziert, die zum Aufreißen der Kernhülle führen können. Auf dieser Grundlage setzen wir jetzt verschiedene Therapieansätze ein, um einen derart geschwächten Zellkern vor den zytoskelettalen Kräften zu schützen, die den Schaden verursachen.

Der Schutz des geschwächten Zellkerns bewahrt die Herzmuskelzelle und somit das Herz, was hoffentlich zum Erhalt der Herzleistung bei Patientinnen und Patienten mit dieser genetischen Mutation beiträgt, die sonst ein Herzversagen erleiden würden.

Wenn wir unsere Forschung in Therapien für Menschen mit Laminopathie – denen aktuell keine Behandlungsoptionen für diese verheerenden Herzerkrankung zur Verfügung stehen – überführen können, dann können wir meiner Meinung nach wirklich etwas bewirken.

Können Sie uns erzählen, wie sich Ihre Rolle als Vater auf Ihren Forschungsschwerpunkt ausgewirkt hat?

Als meine Tochter Lucy 2018 geboren wurde und nach etwa vier Tagen Krampfanfälle bekam, änderte sich vieles. Sie wurde mit STXBP1-Enzephalopathie diagnostiziert, einer sehr seltenen, genetisch verursachten neurologischen Entwicklungsstörung. Das hat unser Leben, die Arbeit im Labor und auch alles andere dramatisch verändert.

In den Wochen nach der Diagnose habe ich versucht, alles über die Krankheit meiner Tochter und ihre Auswirkungen auf das Gehirn zu erfahren, und habe wahrscheinlich mehr Informationen aufgenommen als jemals zuvor in meinem Leben. Das Schwierigste an der Diagnose einer seltenen Krankheit ist das Gefühl der Hilflosigkeit. Als Eltern möchte man doch das Gefühl haben, dass man etwas tun kann, um seinem Kind zu helfen.

Ich fühle mich unglaublich privilegiert, dass ich in einem Bereich arbeite, in dem ich diese Erkrankungen erforschen kann. Ich sehe es fast als meine Pflicht an, denn dadurch kann ich etwas sinnvolles tun, um meiner Tochter und anderen zu helfen. Natürlich könnte ich nichts davon allein bewerkstelligen. Ich konnte großartige Kolleginnen und Kollegin ins Team holen, die über großes Fachwissen im Bereich der Neurowissenschaften sowie der gentherapeutischen Möglichkeiten verfügen, die wir für die klinische Präsentation dieser Erkrankungen verfolgen müssen. Unser Center for Epilepsy and Neurodevelopmental Disorders (ENDD), eine Kooperation der Penn Medicine und des Children's Hospital of Philadelphia, hilft uns darüber hinaus, unsere Erkenntnisse aus der Forschung in eine neue Therapie für den Menschen umzusetzen.

Bitte erläutern Sie dieses Krankheitsfeld und Ihre Arbeit in diesem Bereich näher.

STXBP1 und SYNGAP1 sind Gene, die für die synaptische Signalübertragung und die neuronale Entwicklung verantwortlich sind. Erkrankungen, die auf eine Fehlfunktion dieser Gene zurückzuführen sind – Synaptopathien genannt –, wirken sich massiv darauf aus, wie Nervenzellen Informationen übertragen und empfangen.

In jeder Nervenzelle befinden sich zwei Kopien der Gene STXBP1 und SYNGAP1. Bei Kindern mit einer Genvariante oder einer Genmutation ist nur eine Kopie vorhanden. Das bedeutet, dass nur etwa halb so viel STXBP1- oder SYNGAP1-Protein hergestellt wird, wie für eine ordnungsgemäße Funktion in der Nervenzelle erforderlich ist. Der Fachbegriff dafür lautet monogene Haploinsuffizienz.

Die Proteine, die diese Gene kodieren, kommen an der Synapse zum Einsatz. Über die Synapse überträgt eine Nervenzelle Informationen an eine andere. Das präsynaptische Nervenende sendet das Signal und das postsynaptische Nervenende empfängt es. Das STXBP1-Gen befindet sich auf der präsynaptischen Seite und das SYNGAP1-Gen auf der postsynaptischen.

Eine Mutation eines dieser Gene führt dazu, dass die Nervenzellen nicht richtig miteinander kommunizieren. Da die neuronale Kommunikation grundlegend für alles ist, was wir tun – sei es Denken, Lernen, Sprechen, Gedächtnis oder Motorik –, hat eine Störung weitreichende Auswirkungen auf alle Aspekte des Lebens der betroffenen Kinder. Dies kann zu schweren neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie und kognitiven Einschränkungen führen.

Wir versuchen, Therapien der nächsten Generation zu entwickeln, um der aktuellen Generation von Kindern zu helfen.

Prof. Dr. Benjamin L. Prosser Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania

An welchen Behandlungsansätzen für diese neurologischen Entwicklungsstörungen arbeitet Ihr Labor?

Obwohl die diagnostischen Verfahren für diese Erkrankungen relativ neu sind, verstehen wir die zugrunde liegenden genetischen Mechanismen sehr genau. Das ist ein großer Vorteil bei der Forschung. Im Bezug auf die Therapieentwicklung ist unser Ziel ganz klar: Wir müssen das Protein wieder auf ein normales Niveau bringen.

Dafür arbeiten wir sowohl an genbasierten Therapien als auch an einer RNA-basierten Behandlung mit Antisense-Oligonukleotiden, kurz ASO. Mit diesen hochregulierenden Therapien gehen wir gezielt die Ursachen dieser Erkrankungen an. Das ist ein sehr anspruchsvoller Ansatz, mit dem wir versuchen, Therapien der nächsten Generation zu entwickeln, um der aktuellen Generation von Kindern zu helfen.

Wie wirkt es sich auf Ihre Perspektive aus, dass Sie Vater eines Kindes mit dieser Erkrankung sind?

In der Wissenschaft akzeptieren wir die Tatsache, dass ein Großteil unserer Experimente scheitert. Höhen und Tiefen gehören zu unserem Alltag. Nur durch unsere Misserfolge kommen wir schließlich zum Erfolg. Wenn ein Experiment unmittelbare Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlergehen der eigenen Tochter hat, dann ist es sehr viel schwieriger, die Misserfolge zu verkraften.

Aber mit den neuen genbasierten Therapien, die in etwa einem Jahr verfügbar sein werden, ist es im Moment besonders wichtig, Elternteil und Wissenschaftler zugleich zu sein. Wir müssen das gewaltige Potenzial dieser Therapien für unsere Kinder untersuchen, aber wir müssen auch die damit verbundenen Risiken verstehen. Für mich ist es sehr wertvoll, die Perspektive einer Familie einnehmen zu können, die mutig ein Risiko eingeht, um ihrem Kind zu helfen. Das habe ich jeden Tag im Kopf.

Zum Abschluss noch die Frage: Was gibt Ihnen Hoffnung und Inspiration?

Ich bin sehr begeistert von dem Potenzial, das der Viren-vermittelte Transfer von genetischem Material ins Gehirn zur Korrektur von neurogenetischen Störungen hat. Viele Forschungsgruppen haben in den letzten Jahren bedeutende Durchbrüche auf diesem Gebiet erzielt. Forschende haben virale Transfervektoren entwickelt, die in der Lage sind, große Mengen an genetischem Material zu verpacken und es in Nervenzellen in den von einer bestimmten Erkrankung betroffenen Hirnregionen einzubringen. Dieser Ansatz ist äußerst vielversprechend für die Behandlung von neurogenetischen Erkrankungen.

Innerhalb der nächsten fünf Jahre werden diese neuen Therapien höchstwahrscheinlich am Menschen getestet werden können. Damit haben wir endlich die Mittel, möglicherweise Erkrankungen zu behandeln, welche die gesamte Menschheitsgeschichte über existiert haben. Ich bin überwältigt von der Bedeutung dieses Augenblicks, der wirklich sehr bemerkenswert ist.