Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. Frederik Wenz
Prof. Dr. Dr. h.c. Frederik Wenz ist Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Freiburg. Er sprach mit uns über die Herausforderungen in einer modernen Krankenhausumgebung und wie Technologie dazu beitragen kann, diesen zu begegnen und die Gesundheitsversorgung stärker auf Patientenbedürfnisse auszurichten.1
Seit über 175 Jahren stellt man sich bei ZEISS die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern? Diese Vision war für ZEISS der Anlass, in der Gesprächsreihe ZEISS Beyond Talks den Austausch mit Vordenkern und führenden Intellektuellen aus der ganzen Welt zu suchen und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Visionen, ihre Leidenschaften und aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Welt zu sprechen.
Würden Sie zunächst bitte das Krankenhaus beschreiben, das Sie leiten, und welche Aufgaben Sie als Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender haben.
Das Universitätsklinikum hier in Freiburg stellt für die etwa zwei Millionen Menschen im Einzugsgebiet medizinische Versorgung bereit. Wir beschäftigen 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die pro Jahr etwa 100.000 stationäre Patientinnen und Patienten versorgen. Dazu führen wir etwa 800.000 ambulante Behandlungen durch.
Ich werde oft gefragt, was der Vorstandsvorsitzende eines Universitätsklinikums eigentlich macht. Im Wesentlichen bin ich zusammen mit meinem Team für die Planung und Umsetzung unserer medizinischen Strategie verantwortlich. Dafür schauen wir uns an, mit welchen Herausforderungen wir es in Zukunft in der Gesundheitsversorgung zu tun haben werden, und zwar auf lokaler, regionaler, nationaler und auch internationaler Ebene. Darauf aufbauend erarbeiten wir Strategien, um diesen Herausforderungen zu begegnen und den Menschen in der Region eine hochwertige Gesundheitsversorgung anbieten zu können.
Wenn wir über die Zukunft sprechen, ist natürlich Nachhaltigkeit ein Thema. Was bedeutet das für Sie als Leiter eines Krankenhauses?
Um das zu beantworten, müssen wir zunächst den Begriff der Nachhaltigkeit im medizinischen Kontext definieren. Im Allgemeinen meinen wir damit die ökologische Nachhaltigkeit. Aber im Gesundheitswesen hat der Begriff auch eine ökonomische und eine soziale Dimension.
Ökologisch betrachtet bedeutet Nachhaltigkeit, dass wir unseren Energieverbrauch senken müssen. Unser Klinikum stößt im Moment 104.000 Tonnen CO2 pro Jahr aus, weshalb wir ein Programm aufgelegt haben, mit dem wir den Ausstoß pro Jahr um 20.000 Tonnen senken wollen. Wir sind überzeugt, dass wir das in naher Zukunft schaffen können.
Ökonomische Nachhaltigkeit dagegen bedeutet, dass wir auf unsere teure Ausstattung achtgeben, um Verschwendung zu vermeiden. Zur ökonomischen Nachhaltigkeit gehört aber auch die Qualität der Pflege, also das richtige Maß an Pflege für unsere Patientinnen und Patienten – nicht zu viel und nicht zu wenig.
Der dritte Aspekt ist die soziale Nachhaltigkeit, bei der es hauptsächlich um den Schutz der wertvollsten Ressource eines Krankenhauses geht: unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir müssen gewährleisten, dass ihre Gesundheit erhalten bleibt und sie in ihrem Beruf bleiben.
Bisher haben wir Krankenhäuser um die ärztlichen Bedürfnisse herum gebaut, aber in Zukunft werden die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt des Krankenhauses stehen.
Wie sieht die Gesundheitsversorgung der Zukunft aus? Wie wird sich das Patientenerlebnis verändern?
Es ist immer schwierig, Vorhersagen über die Zukunft zu treffen, aber interessant ist, dass wir in gewisser Weise zur ursprünglichen Idee der Gesundheitsversorgung zurückkehren. Vor 200 Jahren gab es keine Krankenhäuser. Die Gesundheitsversorgung erfolgte im heimischen Umfeld, die Ärzte kamen zu den Kranken nach Hause. Zumindest war das bei wohlhabenden Personen so – die Armen waren damals von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen.
Florence Nightingale und andere trieben die Entwicklung von Krankenhäusern – hauptsächlich für die armen Bevölkerungsschichten – voran und im Laufe des letzten Jahrhunderts etablierten sich die Krankenhäuser dann zunehmend als Zentren der medizinischen Versorgung. In den vergangenen etwa 25 Jahren haben wir gelernt, dass neben der Akutversorgung auch die ambulante Behandlung von chronischen Erkrankungen im Krankenhaus immer wichtiger wird.
In Zukunft wird der Fokus stärker auf Prävention liegen – also darauf, die Gesundheit der Menschen zu erhalten – und die medizinische Versorgung wird zunehmend außerhalb der Krankenhäuser im heimischen Umfeld erfolgen, wo assistierende Systeme die Menschen überwachen und unterstützen. Das ist tatsächlich eine hochinteressante Entwicklung, da sie im Grunde zurückgeht auf eine Zeit vor 300 Jahren, als die Krankenversorgung zu Hause der Normalfall war. In 30 oder 40 Jahren könnte das wieder ein Kernelement der Gesundheitsversorgung sein.
Wie sieht es mit dem Patientenerlebnis im Krankenhaus aus – wie wird sich das Ihrer Meinung nach verändern?
Bisher haben wir Krankenhäuser um die ärztlichen Bedürfnisse herum gebaut, aber in Zukunft werden die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt des Krankenhauses stehen. Damit meine ich, dass wir unsere Krankenhäuser kundenorientierter gestalten werden und auf eine nahtlose Patientenreise hin ausrichten.
Die Menschen sind es heute gewohnt, dass sie alles aus einer Hand bekommen, sie sitzen auf dem Sofa vor dem Fernseher und bestellen etwas auf ihrem Smartphone oder Tablet, das am nächsten Tag da ist. Dann kommen sie ins Krankenhaus, haben lange Wartezeiten und müssen einen Berg von Papierformularen ausfüllen. Das wird sich in den nächsten Jahren ändern, es werden digitale Aufnahmeprozesse kommen, die ähnlich funktionieren werden wie das Einchecken per App bei einer Flugreise.
Gibt es bei Ihnen in dieser Richtung schon etwas?
Ja. Wir haben ein App-basiertes digitales Assistenzsystem namens „Meine Uniklinik App“, das unsere Patientinnen und Patienten digital durch ihren Krankenhausaufenthalt begleitet. Die Menschen erwarten das. Sie fordern es explizit ein und sind es aus anderen Lebensbereichen gewöhnt, also müssen wir es ihnen bieten. Es geht dabei darum, die Patientinnen und Patienten zu befähigen und ihre Patientenreise zu verbessern.
„In Zukunft wird der Fokus stärker auf Prävention liegen – also darauf, die Gesundheit der Menschen zu erhalten.“
Wie messen Sie die Qualität der Pflege und wie wird sich das in Zukunft ändern?
Wenn wir über die Zukunft von Qualität in der Medizin sprechen, ist die Digitalisierung das Mittel, mit dem wir eine Versorgungsqualität erreichen können, die wir „Qualität in Echtzeit“ nennen.
Traditionell erfolgt das Qualitätsmanagement im Krankenhaus so, dass wir eine Behandlung vornehmen und sie dann am Nachmittag oder am nächsten Tag dokumentieren. Vielleicht sogar erst Tage nachdem der oder die Erkrankte das Krankenhaus schon wieder verlassen hat. Am Ende des Quartals oder gar am Ende des Jahres wertet das Qualitätsmanagementteam die Daten aus und kommt zu Erkenntnissen. Wenn wir zum Beispiel eine Wundinfektionsrate von sechs Prozent feststellen – was nicht gut ist –, erfahren wir zeitverzögert, dass wir in Zukunft etwas anders machen müssen.
Wenn wir aber über Qualität in Echtzeit – und Digitalisierung – sprechen, dann bietet sich uns die Möglichkeit, den Prozess mit Sensoren kontinuierlich zu überwachen und zu erfassen. Wenn etwas nicht nach Plan verläuft, erhalten wir sofort eine Warnmeldung und können die Behandlung auf verbesserter Grundlage anpassen.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch über die Krebsbehandlung sprechen. Welche vielversprechenden Entwicklungen sehen Sie in diesem Bereich für die Betroffenen?
Bei der Krebsbehandlung werden immer mehr technische Systeme zum Einsatz kommen, unter anderem auch Roboterassistenten bei Operationen. Wir werden auch verstärkt auf datengetriebene Medizin setzen, ein Bereich, in dem noch viel zu tun ist. Aktuell sind wir im Grunde blind, wie es unseren Patientinnen und Patienten vor und nach dem Krankenhausaufenthalt geht. Dabei gibt es eine Menge aussagekräftiger Daten zu ihrem Zustand – darunter auch solche, die für ihre Erkrankung relevant sind.
Wenn eine Patientin oder ein Patient das Krankenhaus verlässt, besprechen wir, welche Maßnahmen nach der Entlassung erforderlich sind, um den Behandlungserfolg zu sichern. Hier müssen wir unsere Vorgehensweise ändern, besonders in der Krebsmedizin. Die Krebsnachsorge erfolgt in der Regel in einem festen Rhythmus – alle sechs Wochen oder alle drei Monate. Was zwischen den Terminen passiert, bekommen wir nicht mit. Tatsache ist, dass einige Betroffene häufiger zum Kontrolltermin kommen müssten, andere dagegen weniger oft.
Mit Geräten zur digitalen Fernüberwachung und Sensortechnik könnten wir dieses einheitliche Nachsorgeprogramm durch eine bedarfsgesteuerte Vorgehensweise ersetzen. Wer ärztliche Betreuung benötigt, könnte zu uns kommen, während andere, die keine Behandlung benötigen, nicht persönlich in die Klinik kommen müssten.
Das ist die Zukunft der Krebsbehandlung, in der digitale und andere technologische Entwicklungen dazu beitragen werden, den Behandlungserfolg zu verbessern.
-
1
Das Interview wurde zur besseren Verständlichkeit bearbeitet.