Interview mit Nipam Patel, Ph.D., Entwicklungsbiologe und Direktor des Marine Biological Laboratory der University of Chicago.
ZEISS Beyond Talks

Interview mit Nipam Patel, Entwicklungsbiologe und Direktor des Marine Biological Laboratory der University of Chicago1

Nipam Patel ist Entwicklungsbiologe, der die Tierwelt auf genetischer Ebene erforscht. Seine Studien zu Schmetterlingen und Krebsen verändern unser Verständnis der Farbdarstellung, der Geweberegeneration und der Evolution der Arten.

Seit über 175 Jahren stellt man sich bei ZEISS die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern? Diese Vision war für ZEISS der Anlass, in der Gesprächsreihe ZEISS Beyond Talks den Austausch mit Vordenkern und führenden Intellektuellen aus der ganzen Welt zu suchen und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Visionen, ihre Leidenschaften und aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Welt zu sprechen.

  • Interview (11:50 Min.)

Bitte sagen Sie kurz etwas zu Ihrem beruflichen Profil und Ihren Forschungsgebieten.

Gegenwärtig bin ich Direktor des Marine Biological Laboratory in Massachusetts, einem internationalen Zentrum für Forschung und Lehre in den Bereichen Biologie und Umweltwissenschaften. Zudem bin ich Professor an der University of Chicago.

Ich selbst würde mich als Entwicklungsbiologe bezeichnen. Mich faszinieren Arthropoden, also Gliederfüßer wie Insekten, Tausendfüßer und Hundertfüßer. Ich möchte verstehen, wie sie die sich wiederholenden Segmente ihrer Körper bilden. Außerdem interessiere ich mich für die Farbgebung bei Schmetterlingen. Sie nutzen ein bemerkenswertes Phänomen, bei dem die Farbe ihrer Flügel durch Lichtbrechung und nicht durch Pigmente entsteht.

Sie haben schon Ihr ganzes Leben lang eine Leidenschaft für Schmetterlinge. Bitte erzählen Sie uns davon.

Ja, ich sammle Schmetterlinge, seit ich acht Jahre alt bin. In unserem Garten habe ich damals einen toten Schmetterling gefunden und nachgelesen, wie man ihn präpariert. Ich habe ihn immer noch in meiner Sammlung. Dann habe ich meine Eltern überzeugt, mir beim Nähen von Fangnetzen zu helfen. Meine Sammlung wurde immer größer. Heute sind es Zehntausende von Exemplaren.

Zunächst war das Sammeln mein Hobby, doch vor einigen Jahren beschloss ich, mich auch wissenschaftlich mit Schmetterlingen zu beschäftigen. Das hat mich zu einem meiner aktuellen Forschungsthemen im Labor gebracht. Ich untersuche, wie Schmetterlinge die Schuppen bilden, die die Farbe auf ihren Flügeln erzeugen. Blau- und Grüntöne sind hier besonders interessant, da sie durch ein verblüffendes Lichtphänomen auf der Oberfläche der Flügel entstehen. Wir nennen dieses Phänomen strukturelle Färbung.

Interview mit Nipam Patel, Ph.D., Entwicklungsbiologe und Direktor des Marine Biological Laboratory der University of Chicago.

Der Mensch hat mittlerweile die Fähigkeit, sich auf eine Art und Weise weiterzuentwickeln, die über das hinausgeht, was wir als klassische biologische Evolution bezeichnen.

Nipam Patel Entwicklungsbiologe
ZEISS Beyond Talks Podcast
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The Podcast

Der Podcast „ZEISS Beyond Talks“ ist eine Interviewreihe mit führenden Wissenschaftlern, bekannten Künstlern und ZEISS Experten aus aller Welt, die wichtige Meilensteine umspannt. Alle Beiträge suchen Antworten auf die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern?

Können Sie dieses Phänomen genauer erklären und uns einige Beispiele nennen?

Stellen Sie sich eine Seifenblase im Sonnenlicht vor. Die Seife, aus der sie besteht, ist komplett farblos. Die Seifenblase schillert aber in allen Farben des Regenbogens. Das liegt daran, dass das Licht, das auf die Oberfläche der Blase trifft, sowohl von außen als auch von innen reflektiert wird. Da die Blase unglaublich dünn ist, interagieren die Lichtwellen miteinander. Einige Farben werden verstärkt und wirken strahlender, während andere Farben ausgelöscht werden und verschwinden.

Schmetterlinge nutzen dieses Phänomen auf sehr raffinierte Weise: Winzige Nanostrukturen auf ihren Flügeln erzeugen die Lichtbrechung, die wir als Farbe wahrnehmen. Viele von uns kennen die leuchtend metallisch-blauen Morphofalter. In ihren Flügeln ist tatsächlich kein blaues Pigment enthalten – die Farbe entsteht nur durch die Lichtbrechung.

  • Interview mit Nipam Patel, Ph.D., Entwicklungsbiologe und Direktor des Marine Biological Laboratory der University of Chicago.
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Versuchen Sie, dieses Phänomen im Labor zu replizieren?

Wir versuchen, die Gene zu verstehen, die hinter solchen Phänomenen stehen.

Seit ein paar Jahren nutzen wir eine bahnbrechende Technologie namens CRISPR-Cas9. Mit dieser Methode der Genom-Editierung können wir die Gene von fast jedem Organismus manipulieren.

In meinem Labor arbeiten wir auch an Gliederfüßern – diesen kleinen grauen Tierchen, die man am Strand im Sand hüpfen sieht. Uns interessiert, wie sie das richtige Bein an das richtige Segment bekommen. Mit der CRISPR-Cas9-Methode können wir jetzt die Anordnung ihrer Beine verändern.

Ähnliches versuchen wir mit Schmetterlingen, indem wir die Farben und Muster auf ihren Flügeln verändern, um zu verstehen, wie das Phänomen der Flügelfärbung genau funktioniert.

Das klingt, als würden Sie unser Verständnis davon, wie wir Farbe wahrnehmen, infrage stellen. Stimmt das?

Farbe ist wirklich ein sehr spektakuläres Phänomen.

In der Physik können wir ein Prisma verwenden, um weißes Licht in die Farben des Regenbogens zu zerlegen. Wir können die Wellenlängen des Lichts messen, um den Farben eine echte physikalische Bedeutung zu geben. Andererseits ist Farbe eine menschliche Wahrnehmung. Wir sprechen über Farben, weil unser Verstand die uns vorliegenden Informationen auf diese Weise verarbeitet.

Farbe ist so bemerkenswert, weil es sowohl die physikalische Realität als auch die menschliche Wahrnehmung von Farbe gibt. Nehmen wir zum Beispiel Lichtwellenlängen, die wir als gelb bezeichnen würden. Das menschliche Gehirn kann aber auch Farben miteinander mischen, um Gelb zu erzeugen, obwohl es sich nicht um gelbe Wellenlängen handelt. Es geht darum, wie unsere Augen diese Wellenlängen wahrnehmen und unser Gehirn die Informationen verarbeitet. Das hat mich schon immer fasziniert.

Eine der größten Herausforderungen der Zukunft wird die Fähigkeit sein, große Datenmengen zu synthetisieren.

Nipam Patel Entwicklungsbiologe

Wie schlagen Sie die Brücke zwischen Ihrer Arbeit im Labor und der Welt draußen?

Unsere wissenschaftliche Arbeit wird ja nicht selten hinsichtlich ihres Nutzens für die Menschheit hinterfragt. Ich denke, die Öffentlichkeit muss verstehen, dass viele große Entdeckungen im Bereich Gesundheit und Medizin aus der Grundlagenforschung stammen, von der man nicht erwartete, dass sie zu großen Innovationen führt. Wissenschaftler wollten einfach nur grundlegende Fragen beantworten.

Was unsere Arbeit mit Schmetterlingen betrifft, so besteht das externe Interesse am Phänomen der strukturellen Färbung darin, nicht verblassende Farben zu erzeugen. Das Problem bei Farben ist zum Beispiel, dass sie mit der Zeit durch Sonnenlicht ausbleichen. Aber wenn man etwas hat, das strukturell – und nicht durch ein Pigment – gefärbt ist, dann wird es durch Licht nicht zerstört und behält langfristig seine Farbe.

Wir erforschen auch die Transparenz von Schmetterlingen, die eine Art Antireflexschicht entwickelt haben. Für Brillenträger gibt es beispielsweise Gläser, die das Licht nicht reflektieren. Schmetterlinge haben schon vor 50 Millionen Jahren herausgefunden, wie ihnen das mit ihren Flügeln gelingt. Wir untersuchen, ob wir das in unseren Alltag integrieren können. Beispielsweise würden Oberflächen, die weniger Licht reflektieren, bessere Solarzellen ergeben.

  • Interview mit Nipam Patel, Ph.D., Entwicklungsbiologe und Direktor des Marine Biological Laboratory der University of Chicago.

Was können Sie über Ihre Arbeit zum Verständnis der Geweberegeneration sagen?

Wenn sie einen Arm oder ein Bein verlieren, können viele Tiere – auch wir Menschen – dieses Körperteil nicht nachwachsen lassen. Aber es gibt auch andere Tiere, mit denen wir hier im Labor arbeiten – wie die bereits erwähnten Krebstiere –, denen tatsächlich in relativ kurzer Zeit Gliedmaßen nachwachsen können.

Wissenschaftler arbeiten intensiv daran, das Geheimnis dieser Tiere zum Nutzen der Menschen zu entschlüsseln. Wir werden vielleicht nicht in der Lage sein, einen ganzen Arm nachwachsen zu lassen, aber wenn wir verstehen, wie sich diese Tiere regenerieren, könnten wir dieses Wissen beispielsweise bei der Heilung von Rückenmarksverletzungen einsetzen.

Interview mit Nipam Patel, Ph.D., Entwicklungsbiologe und Direktor des Marine Biological Laboratory der University of Chicago.

Winzige Nanostrukturen auf den Schmetterlingsflügeln erzeugen die Lichtbrechung, die wir als Farbe wahrnehmen.

Nipam Patel Entwicklungsbiologe

Denken Sie, dass sich die menschliche Evolution durch Technologie beschleunigen wird?

Es ist im Moment wirklich schwierig einzuschätzen, wie sich der Mensch entwickeln wird, da die Evolution normalerweise Zehntausende oder Millionen von Jahren dauert. Jetzt aber haben wir die unglaubliche Fähigkeit, unsere Umwelt durch Technologie zu kontrollieren und möglicherweise auch unsere Gene zu verändern. Der Mensch hat es geschafft, sich auf eine Weise weiterzuentwickeln, die über das hinausgeht, was wir als klassische biologische Evolution bezeichnen.

  • Interview with Nipam Patel, PHD, developmental biologist and director of the Marine Biological Laboratory, University of Chicago.

Was sagen Sie Menschen, die Genveränderung beunruhigend finden?

Viele Diskussionen über Sinn und Zweck dieser Technologie sind sehr berechtigt. Es ist wie der berühmte Geist in der Flasche – lässt man ihn heraus, ist sehr vieles mach- und denkbar.

Vieles wird zum Nutzen der Menschheit sein, wie zum Beispiel die Forschung in der Agrogentechnik zur Steigerung der Nahrungsmittelerträge. Doch natürlich sind wissenschaftlich auch andere Dinge möglich, bei denen uns sofort klar ist, dass sie keine gute Idee sind.

Als verantwortungsvolle Forscher sollten wir die Öffentlichkeit in die Diskussion um diese Themen einbeziehen. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Die Pioniere der CRISPR-Cas9-Technologie sind sich dessen sehr bewusst und setzen sich intensiv mit der Öffentlichkeit und mit Ethikern über ihre Forschung auseinander. Die Fragestellungen sind nicht leicht zu beantworten, aber Wissenschaftler sind in der Regel sehr vorsichtig und sichern sich ab, damit nichts schiefgeht.

Interview mit Nipam Patel, Ph.D., Entwicklungsbiologe und Direktor des Marine Biological Laboratory der University of Chicago.

Farbe ist so bemerkenswert, weil es sowohl die physikalische Realität als auch die menschliche Wahrnehmung von Farbe gibt.

Nipam Patel Entwicklungsbiologe

Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft und wie können diese Ihrer Meinung nach mithilfe von Technologie bewältigt werden?

Eine der größten Herausforderungen wird zukünftig die Fähigkeit sein, große Datenmengen zu synthetisieren. Derzeit können wir bestimmte Gene, Signalwege und -netze untersuchen, aber um den Zustand eines Organismus zu verstehen, müssen wir eine riesige Menge an Informationen über all die verschiedenen Gene und die Umwelt, in der der Organismus lebt, verarbeiten. Welche Richtungen wir in der Biologie einschlagen werden, wird von der Möglichkeit abhängen, all diese Daten zu modellieren, zu manipulieren und damit zu experimentieren. Wir brauchen KI, die uns diese Daten in einer Form aufbereitet, die wir verstehen.

Ein gutes Beispiel, das diese Herausforderung veranschaulicht, ist die Sequenzierung des menschlichen Genoms. Wir haben viele Ressourcen in dieses Projekt gesteckt und haben es vollbracht. Wir haben viel gelernt, dabei allerdings auch erfahren, dass wir nur sehr wenig wissen. Die vollständige Sequenz des menschlichen Genoms liegt uns jetzt vor – nun besteht die Aufgabe darin, sie sinnvoll zu nutzen. Wir haben die Daten, aber wie lesen wir sie? Das erweist sich als unglaublich kompliziert. Mit jedem Schritt, den wir vorangehen, wird uns klar, dass es oft mehr Fragen als Antworten gibt.

Making-of

  • Making-of (00:39 Min.)


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    Das Interview wurde zur besseren Verständlichkeit bearbeitet.