Interview mit Prof. Joachim Mayer, Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen.
ZEISS Beyond Talks

Interview mit Prof. Joachim Mayer, Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen1

Prof. Joachim Mayer im Gespräch über Materialien als Technologietreiber.

In der modernen Wissenschaft geht es nicht nur um die Erforschung des Weltalls – auch die Untersuchung der uns umgebenden Materialien auf molekularer Ebene spielt eine wichtige Rolle. Ein Pionier auf diesem Gebiet ist Joachim Mayer. Dem Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen und am Ernst Ruska-Centrum für Mikroskopie und Spektroskopie zufolge stehen wir am Beginn einer neuen Computing-Ära: dem neuromorphen Computing.

Seit über 175 Jahren stellt man sich bei ZEISS die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern? Diese Vision war für ZEISS der Anlass, in der Gesprächsreihe ZEISS Beyond Talks den Austausch mit Vordenkern und führenden Intellektuellen aus der ganzen Welt zu suchen und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Visionen, ihre Leidenschaften und aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Welt zu sprechen.

  • Trailer (4:08 Min.)

  • Ganzes Interview (10:27 Min.)

Können Sie uns Ihr Forschungsgebiet – die Materialwissenschaft – erklären?

Materialien sind Technologietreiber. Für den Bau neuartiger Fahrzeuge, Flugzeuge oder Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien werden neue Materialien benötigt – Materialien, die bessere Eigenschaften besitzen als die aktuell verwendeten Werkstoffe. Unsere Aufgabe als Materialwissenschaftler ist es, diese Materialien zu entwickeln.

Ein Teil unserer Arbeit besteht darin, den gesamten Materiallebenszyklus zu betrachten – wie Materialien bei der Nutzung altern und wie Mängel entstehen können, die möglicherweise zu Ausfällen führen. Bei einem Flugzeug beispielsweise darf das Material keinerlei Mängel aufweisen. Ziel der Materialwissenschaft ist es, ausfallsichere Materialien zu entwickeln.

Dazu müssen wir die Mikrostruktur von Materialien untersuchen. Wir müssen die inneren Eigenschaften von Materialien beschreiben und entwickeln. Dafür arbeiten wir mit Mikroskopen, die Materialien bis zu einer Million Mal vergrößert darstellen können.

  • Unsere Mikroskope können Materialien bis zu einer Million Mal vergrößert darstellen, sodass eine einzelne Haarsträhne 60 Meter breit aussieht.
    Forschungszentrum Jülich / Tricklabor
  • Unsere Mikroskope können Materialien bis zu einer Million Mal vergrößert darstellen, sodass eine einzelne Haarsträhne 60 Meter breit aussieht.
    Forschungszentrum Jülich / Tricklabor

Die meisten Menschen dürften Schwierigkeiten haben, sich diesen Maßstab vorzustellen – können Sie uns ein Beispiel geben?

Dieses Beispiel dürfte das anschaulicher machen:

Durch unsere Elektronenmikroskope – die bis zu einer Million Mal vergrößern – kann eine einzelne menschliche Haarsträhne 60 Meter breit aussehen. Das entspricht der Breite eines Fußballfeldes.

Bei diesem Vergrößerungsmaßstab ist jedes einzelne Atom sichtbar. Das war bis zur Erfindung des Elektronenmikroskops vor etwa 20 Jahren nicht möglich.

Interview mit Prof. Joachim Mayer, Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen.

Unsere Mikroskope können Materialien bis zu einer Million Mal vergrößert darstellen, sodass eine einzelne Haarsträhne 60 Meter breit aussieht.

Prof. Joachim Mayer Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen
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The Podcast

Der Podcast „ZEISS Beyond Talks“ ist eine Interviewreihe mit führenden Wissenschaftlern, bekannten Künstlern und ZEISS Experten aus aller Welt, die wichtige Meilensteine umspannt. Alle Beiträge suchen Antworten auf die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern?

In welchen Bereichen kommt diese Arbeit zur Anwendung?

Momentan sind erneuerbare Energien ein großes Thema in der Materialforschung und Systemtechnik. Hier liegt in den nächsten Jahrzehnten die größte Herausforderung für unsere Gesellschaft.

Wir müssen von fossilen Energieträgern auf die Nutzung unbegrenzt verfügbarer Energiequellen wie z. B. Wind oder Sonnenenergie umsteigen. In den letzten Jahren hat Deutschland beispielsweise den Break-Even-Punkt erreicht, an dem mehr Strom aus erneuerbaren als aus konventionellen Quellen erzeugt wird. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Was wir jedoch dringend benötigen, sind Möglichkeiten, diese Energie in verschiedenen Formen zu speichern, damit wir sie nutzen können, wann und wo wir sie brauchen.

Welche Entwicklungen beim Energieverbrauch und der Energiespeicherung sind für die nächsten Jahre zu erwarten?

Beim weltweiten Energieverbrauch nähern wir uns in großen Schritten dem Punkt, an dem der Betrieb von Computern und Servern 20 % unseres Stromverbrauchs ausmacht. Sie können sich also vorstellen, welchen Effekt die Entwicklung von energieeffizienteren Computern hätte. Das würde enorm zur Lösung der globalen Energieprobleme beitragen. Wir stehen erst ganz am Anfang der Entwicklung von Computern mit geringerem Energieverbrauch.

Gegenwärtig sind die gängigsten Stromspeicher Lithium-Ionen-Batterien. Diese sind jedoch problematisch, da die Lithiumreserven der Welt begrenzt sind. Dadurch sind sie auch recht teuer.

Meiner Ansicht nach ist Wasserstoff ein Teil der Lösung. Es ist das kleinste uns bekannte Atom und kann ohne Elektronen durch jedes Metall diffundieren. Die Nutzung von Wasserstoff mit all seinen Eigenschaften und vielversprechenden Aussichten ist eine der faszinierendsten Herausforderungen unserer modernen Zeit.

Interview mit Prof. Joachim Mayer, Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen.

Wir nähern uns in großen Schritten dem Punkt, an dem der Betrieb von Computern und Servern 20 % unseres Stromverbrauchs ausmacht.

Prof. Joachim Mayer Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen

Wie sieht es bei Computern aus – werden Geschwindigkeit und Speicherkapazität weiter zunehmen?

Um diese Frage zu beantworten, muss man das Mooresche Gesetz heranziehen.

Gordon Moore sagte voraus, dass sich die Rechengeschwindigkeit und die Zahl der Transistoren in einer Computer-CPU alle anderthalb bis zwei Jahre verdoppeln würden. Die Auswertung der Daten ergibt, dass das auf die letzten 60 Jahre exakt zutrifft. Das Mooresche Gesetz war damit eine hervorragende Orientierungsmarke, um die Entwicklung der Computer in den letzten Jahren und Jahrzehnten abzuschätzen.

Aber wie geht es in Zukunft weiter?

Unsere Aufgabe als Materialwissenschaftler ist es, die Materialien für das nächste Computer-Zeitalter zu entwickeln.

Hierzu eine Überlegung. Ob Laptop oder Supercomputer: Die inneren Funktionsprinzipien eines Computers haben sich seit gut 60 Jahren nicht wesentlich verändert. Wir haben Arbeits- und Datenspeicher, die jeweils auf einem Mikrochip aus Silizium untergebracht sind und dann von der CPU verarbeitet werden.

Ein Bereich der materialwissenschaftlichen Forschung befasst sich mit der Entwicklung von Hardware, bei der Daten auf einer einzigen Einheit gespeichert, verarbeitet und ausgegeben werden – also auf einem Chip. Das wird als neuromorphes Computing bezeichnet. Dieses Gebiet ist einer der dynamischsten Bereiche in der Materialentwicklung.

Was werden das für Materialien sein?

Das interessanteste Gebiet im Bereich des neuromorphen Computing ist die Arbeit mit Oxiden. Titanoxid und weitere Oxide sind das neue Silizium. Aufgrund ihrer Eigenschaften ermöglichen sie einen Energieverbrauch, der mindestens zehnmal niedriger ist als bei heutigen Supercomputern.

Die nächsten Jahrzehnte werden eine sehr spannende Zeit in der Computerentwicklung sein. Ich gehe davon aus, dass Computer so klein werden, dass wir sie überall nutzen können. Dank der Materialentwicklung stehen wir am Beginn einer Ära hochgradig spezialisierter IT-Systeme, die spezifische Aufgaben ausführen.

  • Interview mit Prof. Joachim Mayer – Mikroskopaufnahme
    Forschungszentrum Jülich / Tricklabor
  • Interview mit Prof. Joachim Mayer – Mikroskopaufnahme
    Forschungszentrum Jülich / Tricklabor
  • Interview mit Prof. Joachim Mayer – Mikroskopaufnahme
    Forschungszentrum Jülich / Tricklabor

Wie sehen Sie die Entwicklung der künstlichen Intelligenz?

Die ersten Wettbewerbe zwischen Mensch und Computer gab es beim Schach. Schach ist ein Spiel, bei dem sich das Endergebnis berechnen lässt. Menschen können Computer hier nicht mehr schlagen.

Die Frage ist, wie viel intelligenter Computer noch werden können. Können Computer weitere Fähigkeiten in Bereichen entwickeln, in denen sich der Mensch evolutionär weiterentwickelt hat?

Ich halte diese Vision tatsächlich für eher gefährlich. Aber wir bewegen uns definitiv auf diesen Punkt zu und meiner Ansicht nach ist die Computertechnologie in der Lage, diese Dimensionen in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten zu erreichen.

Interview mit Prof. Joachim Mayer, Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen.

Das neuromorphe Computing ist einer der dynamischsten Bereiche der Materialentwicklung.

Prof. Joachim Mayer Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen

Über das Ernst Ruska-Centrum und die RWTH Aachen

Das Ernst Ruska-Centrum für Mikroskopie und Spektroskopie mit Elektronen (ER-C) ist eine der weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der elektronenoptischen Forschung. Ein besonderer Schwerpunkt des Fachbereichs Materialwissenschaft und Werkstofftechnik (ER-C-2) sind Energiesysteme mit dem Ziel, ein Verständnis für Systeme zur Energiegewinnung, -umwandlung und -speicherung auf atomarer Ebene zu schaffen.

Die RWTH Aachen (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen) ist eine öffentliche Forschungsuniversität.

Making-of

  • Making-of des Interviews mit Prof. Joachim Mayer, Materialwissenschaftler an der RWTH Aachen.
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