Eigentlich wollte Tamim Asfour Arzt werden, heute ist er Professor für humanoide Robotik am Karlsruher Institut für Technologie in Deutschland. Seit mehr als zwei Dekaden forscht er an humanoiden Robotern, die die Lebensqualität der Menschen verbessern sollen. Asfour will das Personal in Pflegeheimen und Krankenhäusern entlasten und mit Robotik den Folgen des demografischen Wandels entgegenwirken, damit ältere Menschen länger selbstbestimmt in ihrer gewohnten Umgebung leben können. Die Carl-Zeiss-Stiftung unterstützt ihn dabei.
Seine ersten Roboter hat Tamim Asfour aus Drähten und Deckeln von Dosen gebaut. Damals war das Spielzeug und Asfour noch ein Kind. Er wuchs in einem kleinen Dorf im Süden von Syrien auf. Ein Stipendium hat ihn dann nach Deutschland gelockt. Heute ist er Professor am Institut für Anthropomatik und Robotik (IAR) an der Fakultät Informatik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Seit mehr als zehn Jahren leitet er dort den Lehrstuhl „Hochperformante Humanoide Technologien“ als Professor für Humanoide Robotik Systeme. Und aus Spielzeugen wurden echte humanoide Roboter.
„Das war so nicht geplant“, sagt Prof. Dr. Tamim Asfour heute und lacht. Denn eigentlich war sein Berufswunsch ein anderer: „Ich wollte Arzt werden, wie viele junge Menschen in Syrien”, erzählt er. „Von meinem Heimatdorf war die nächste Praxis mehr als 50 Kilometer entfernt. Wäre mein Berufswunsch in Erfüllung gegangen, hätten die Menschen aus dem Dorf und den Nachbardörfern nicht mehr so weit reisen müssen.“ Ein paar Medizin-Vorlesungen hat er auch besucht, aber dann wurde ihm ein Stipendium in Deutschland angeboten – allerdings im Fach Elektrotechnik.
Der menschliche Körper als Inspirationsquelle
Die Chance wollte sich Asfour dennoch nicht entgehen lassen. Er lernte in Heidelberg zunächst Deutsch und besuchte das Studienkolleg, bevor er dann an der damaligen Universität Karlsruhe – das heutige KIT – anfing zu studieren. Was ihn am meisten interessierte, war jedoch gar nicht Teil seines Lehrplans: Robotik. „Ich habe mich im Studium auf Regelungstechnik spezialisiert und wollte immer verstehen, wie man Kontrollstrategien realisieren kann, die Bewegung auf intelligente Art und Weise generieren“, sagt er. Also besuchte er nebenbei Robotik-Vorlesungen und promovierte später sogar in dem Fach an der Fakultät für Informatik.
Wenn Roboter alte Menschen zu Hause unterstützen, müssen weniger von ihnen ins Seniorenheim oder in die Pflege. Und wenn doch, können dort Roboter dem Pflegepersonal helfen. Daran arbeiten wir.
Die Zukunft der Pflege: Wie können Roboter Seniorinnen und Senioren unterstützen?
Prof. Dr. Tamim Asfour über Roboter in der Altenpflege
Vom Arzt zum Ingenieur und Informatiker – von der Medizin zur Robotik: Beruf und Berufung liegen bei Tamim Asfour heute gar nicht so weit auseinander. „Eine wichtige Motivation meiner Forschung ist der Mensch, seine Performanz und Bewegungsintelligenz“. Inspiriert vom menschlichen Körper leitet er mechanische Strukturen ab, die nicht so kompliziert im Aufbau sind wie der menschliche Körper, dafür aber genauso vielseitig in ihren Fähigkeiten – und technisch beherrschbar. Die Anthropomatik hilft ihm dabei. „Das ist die Wissenschaft der Symbiose zwischen Mensch und Maschine“, erklärt der Professor: „Wenn wir menschengerechte Systeme entwickeln wollen, müssen wir viel über den Menschen verstehen. Der menschliche Körper ist für mich die Quelle der Inspiration.“ Aber wozu das Ganze?
Roboter in der Reha – und im Alltag
Zwischen Robotik und Medizin besteht eine enge Verbindung: Asfour will die Möglichkeiten der Robotik nutzen, um die gesundheitliche Versorgung von Menschen zu verbessern. Das ist seine Ambition. Und das gelingt ihm auch. Zum Beispiel im Bereich der Rehabilitation. Hier können sogenannte Exoskelette unter anderem die Arbeit von Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten unterstützen.
Ein Exoskelett fungiert als eine äußere Stützstruktur. Sie kann dazu beitragen, Menschen mit motorischen Einschränkungen zu unterstützen oder bestimmte Reha-Übungen korrekt auszuführen. Asfour erzählt die Geschichte eines Studenten, der von Geburt an Probleme mit der Schulter hat – und dadurch mit der Bewegung seines linken Arms. Zusammen mit Orthopäden und Schulterchirurgen hat der Professor spezifische Bewegungsabläufe definiert, durch die der Student seinen beeinträchtigten Arm gezielt trainieren kann. „Auf Grundlage dessen haben wir ein Exoskelett entwickelt, das diese Bewegungen sehr genau nachahmt“, erklärt Asfour. „Wir werden die Therapeutinnen und Therapeuten, die Ärztinnen oder Ärzte niemals ersetzen können“, sagt Asfour, „aber wir können durch interdisziplinäre Zusammenarbeit Technologien entwickeln, die die Menschen brauchen.“
Das gilt auch für einen weiteren, ganz besonderen Anwendungsfall: humanoide Roboter. „Wir forschen seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Entwicklung menschenähnlicher Roboter“, sagt Asfour. Eines seiner Projekte trägt den Namen „JuBot – Jung bleiben mit Robotern: Vielseitige Assistenzrobotik für die Alltagsbewältigung“. Der Wissenschaftler sieht darin eine Lösung für den demografischen Wandel.
In Deutschland hat sich der Anteil der Menschen im Alter von über 65 Jahren in den vergangenen 70 Jahren mehr als verdoppelt – von zehn auf 22 Prozent. Dieses Problem wird sich in der Zukunft verschärfen. Damit einher geht ein Anstieg pflegebedürftiger Menschen: Je älter die Gesellschaft wird, desto mehr Menschen werden Pflegedienstleistungen beanspruchen. Das ist gerade deshalb bedenklich, weil in der Pflege schon heute akuter Personalmangel herrscht. „Robotik ist die Lösung für diese Probleme“, sagt Asfour. „Denn wenn Roboter alte Menschen zu Hause unterstützen, müssen weniger von ihnen ins Seniorenheim oder in die Pflege. Und wenn doch, können dort Roboter dem Pflegepersonal helfen. Daran arbeiten wir.“
Daher zielen seine Roboter nicht nur darauf ab, dem Personal in Pflegeeinrichtungen unter die Arme zu greifen, sondern auch hilfebedürftige Menschen im Alltag zu unterstützen. Dazu kann beispielsweise gehören, sie beim Tischdecken und Aufräumen zu entlasten oder ihnen andere körperlich anstrengende Tätigkeiten im Haushalt abzunehmen. Ziel ist, dass diese Menschen noch möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden leben können.
5 Fakten zum demografischen Wandel
Carl-Zeiss-Stiftung fördert JuBot-Projekt am KIT
Dass hier eine Notwendigkeit besteht, hat auch die Carl-Zeiss-Stiftung erkannt. Sie fördert das Projekt über einen Zeitraum von fünf Jahren bis 2026 mit 4,5 Millionen Euro. „Mit der Unterstützung von Forschungsprojekten in unseren Schwerpunktthemen KI und Life Science Technologies tragen wir zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen Digitalisierung und Gesundheit bei”, erläutert Dr. Felix Streiter, Geschäftsführer der Carl-Zeiss-Stiftung.
Bei Asfour und seinem Team ist die Freude über die Förderung noch immer groß, denn sie ermöglicht konkrete Fortschritte in der Forschung. Zum Beispiel kann das Institut dadurch Stellen finanzieren und weitere wissenschaftliche Mitarbeitende einstellen, zusätzliche Versuchsstrecken aufbauen oder in Hardware für die Realisierung der Roboter investieren. „Durch die Förderung der Carl-Zeiss-Stiftung können wir fünf Jahre intensiv verschiedene Aspekte und Herausforderungen der Assistenzroboter erforschen“, erklärt er.
Und die finanzielle Unterstützung zeigt Wirkung. Seit 2004 besteht das Labor am KIT vorrangig aus einer Küche. „Das ist der kniffligste Ort für Menschen – und damit auch für Maschinen. Wenn ein Roboter die Aufgaben und die Herausforderungen hier bewältigen kann, ist er in der Lage, sie überall zu meistern“, erklärt Asfour. Zwar befinde sich seine Arbeit auch nach zwei Jahrzehnten noch immer auf dem Niveau der Grundlagenforschung, erklärt der Wissenschaftler. „Aber wir haben mittlerweile ein Niveau erreicht, das uns ermöglicht, in andere Umgebungen wie Pflegeheime oder Krankenhäuser zu gehen und praxisnahe Erkenntnisse zu gewinnen, die für die Weiterentwicklung der Roboter unabdingbar sind. In solchen Umgebungen interagieren unsere Roboter nicht mehr ausschließlich mit Doktorandinnen und Doktoranden, sondern mit Patientinnen und Patienten oder älteren Menschen. Das bedeutet, dass sie sich auf deren Fähigkeiten in Bezug auf Motorik, Sprache und Verhalten anpassen müssen.“
Wir wollen keine Arbeitsplätze zerstören und ein Roboter wird niemals einen Menschen ersetzen können. Er kann niemanden in den Arm nehmen und trösten. Aber Roboter können das Personal unterstützen.
Roboter als Unterstützer
Bei all der Euphorie nehmen Asfour und sein Team jedoch auch Skepsis wahr. „Die einen fürchten um ihre Arbeitsplätze, die anderen eine Superintelligenz und die Revolution der Roboter“, berichtet der Forscher. Deshalb stellt er immer wieder klar: „Wir wollen keine Arbeitsplätze zerstören und ein Roboter wird niemals einen Menschen ersetzen können. Er kann niemanden in den Arm nehmen und trösten. Aber Roboter können das Personal unterstützen. Darin werden sie immer besser.“
Auch dank seiner Arbeit. Deshalb will er immer weiter forschen. Ein hochdotiertes Angebot für die Robotikforschung in Singapur lehnte er ab. Er will in Karlsruhe bleiben. Einzig als Arzt in Syrien zu arbeiten, könnte er sich vorstellen. „Aber das ist ein Traum“, sagt er. Seine Freunde und Familie in Syrien müssen übrigens trotz seiner Abwanderung nicht mehr weit zur nächsten Praxis reisen. Asfours Bruder wurde Arzt. Vielleicht praktizieren die beiden irgendwann doch noch einmal zusammen.
Im Fokus: Robotik in der Pflege
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In erster Linie geht es bei Robotik in der Pflege darum, das Personal zu entlasten. So können Roboter Pflegekräfte zum Beispiel bei vielen alltäglichen Aufgaben unterstützen. Dazu zählen unter anderem das Aufzeichnen von Vitalwerten oder die Ausgabe von Medikamenten. Sie können über Nachrichten informieren, Patientinnen und Patienten an Termine erinnern oder Kontakt mit deren Familien aufnehmen. Ausgestattet mit Künstlicher Intelligenz ist es sogar möglich, dass Roboter Gesundheitsdaten verarbeiten und daraus Diagnosen ableiten, die mit dem medizinischen Personal geteilt werden, etwa indem sie aus nonverbalen Hinweisen Depressionen erkennen.
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Grundsätzlich lassen sich Pflegeroboter in drei Kategorien einteilen: Serviceroboter, Hebe-Roboter und soziale Roboter. Serviceroboter können alltägliche Aufgaben ausführen und Gegenstände transportieren. Wie Serviceroboter können auch Hebe-Roboter zur Entlastung des Pflegepersonals beitragen. Beispielsweise, indem sie ihnen körperlich schwere Arbeiten abnehmen, wie etwa das Umheben von Patientinnen und Patienten. Soziale Roboter sind für solche Arbeiten ungeeignet, decken dafür aber einen weiteren wichtigen Bereich der Pflege ab: Sie können die Regeln der interaktiven Kommunikation befolgen und sind in der Lage, Verhaltensmuster zu erlernen oder auch Stimmen zu erkennen.
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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass Roboter die menschliche Pflegekraft nicht ersetzen können. Aber sie können ihr zur Seite stehen und immer mehr Aufgaben übernehmen – sowohl physischer als auch kognitiver Natur. Dazu gehört zum Beispiel das Drehen von Patientinnen und Patienten im Bett, das für das Pflegepersonal sehr kraftraubend ist, das Halten von Patientinnen und Patienten beim Umlagern oder die kontaktlose Messung von Vitalwerten wie Puls oder Körpertemperatur mitsamt automatisiertem Eintrag in die Patientenakte. Das heißt, Roboter können die Zukunft sein – aber immer im Zusammenspiel mit dem Menschen.