Interview mit Prof. Dr. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.
ZEISS Beyond Talks

Interview mit Prof. Dr. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin1

Prof. Dr. Antje Boetius über die Tiefsee und unsere Auswirkungen auf den Ozean.

Bisher waren weniger Menschen in der Tiefsee als im Weltraum. Einer dieser wenigen Menschen, die die Tiefsee erforschen, ist Antje Boetius. Im Gespräch hat sie uns spannende Einblicke in diesen unerforschten Lebensraum der Erde gegeben.

Seit über 175 Jahren stellt man sich bei ZEISS die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern? Diese Vision war für ZEISS der Anlass, in der Gesprächsreihe ZEISS Beyond Talks den Austausch mit Vordenkern und führenden Intellektuellen aus der ganzen Welt zu suchen und mit ihnen über ihre Arbeit, ihre Visionen, ihre Leidenschaften und aktuelle Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung unserer Welt zu sprechen.

  • Trailer (2:55 Min.)

  • Ganzes Interview (12:38 Min.)

Was inspiriert Sie dazu, Antworten auf das Unbekannte zu suchen?

Ich bin auf der Suche nach einem tieferen Verständnis. Als Kind wollte ich unbedingt wissen, wie die Erde und die Ozeane funktionieren, oder auch die Menschen. Ich wollte verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Dieser Wissenshunger ist für mich der größte Antrieb im Leben und auch in meiner Arbeit. Meine Inspiration ist der Wunsch, ein umfassenderes Bild gewinnen zu wollen, den Landschaften und der Natur nahe zu sein, die ich liebe ‒ und das sind nun mal die Ozeane und die Tiefsee. In unbekannte Lebensräume einzutauchen, ist für mich nicht bedrohlich, sondern inspirierend. Ich gehe einen Schritt in eine Umgebung, die unvorhersehbar ist, völlig unbekannt, und werde dann Schritt für Schritt ein Teil davon.

Gibt es ein besonderen Moment bei Ihren Expeditionen, der Ihnen für immer in Erinnerung bleiben wird?

Das ist auf jeden Fall das Tauchen. Bisher waren ja weniger Menschen in der Tiefsee als im Weltraum. Das Wissen, zu diesen wenigen zu gehören, erfüllt mich mit Stolz. Es ist einfach großartig, in die Tiefe abzutauchen und Neues zu entdecken. Abgesehen davon gab es aber auch noch andere Momente in meiner Laufbahn, die wirklich bahnbrechend waren. Ich werde zum Beispiel nie den Moment vergessen, in dem ich eine Entdeckung über Mikroorganismen machte, die bislang völlig unbekannt war. Unter dem Mikroskop sah ich, wie zwei Arten von Mikroben beim Verzehr von Methan miteinander kooperierten. Das war ein ganz besonderer Moment.

Interview mit Prof. Dr. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.

Das Schicksal der Ozeane hängt vielmehr von politischen Entscheidungen ab. Wir brauchen andere Regeln, andere Wege der Nahrungsbeschaffung, eine andere Material- und Energienutzung.

Antje Boetius Mikrobiologin und Forscherin
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Der Podcast „ZEISS Beyond Talks“ ist eine Interviewreihe mit führenden Wissenschaftlern, bekannten Künstlern und ZEISS Experten aus aller Welt, die wichtige Meilensteine umspannt. Alle Beiträge suchen Antworten auf die Frage: Wie können wir die Grenzen der Vorstellungskraft herausfordern?

Würden Sie uns mal auf einen Tiefseetauchgang mitnehmen? Wie läuft das ab?

Es geht los, indem ich in das U-Boot steige, das dann über Bord gehoben wird. Ich bin natürlich gut vorbereitet, weiß genau, was meine Ziele sind, welche Proben ich nehmen will und so weiter. Am Anfang ist es nicht besonders angenehm. Es ist ziemlich warm und stickig, das U-Boot schaukelt in den Wellen. Man ist wirklich froh, wenn es endlich abwärts geht. Bei einer Tiefe von 50 Metern beginnen die technischen Checks, um sicherzugehen, dass das U-Boot wasserdicht und die Zusammensetzung der Luft an Bord in Ordnung ist. Dann wird alles sehr ruhig und man sieht das blaue Wasser, die ersten Fische schwimmen vorbei. Man schaut aus dem Fenster und sieht, dass um einen herum überall Leben ist.

Wenn man in die Tiefsee abtaucht, sinkt man unter den lichtdurchfluteten Bereich des Meeres ab. Es geht durch immer blauer werdende Schichten abwärts, durch alle Nuancen von Blau hindurch, bis es schließlich ganz schwarz wird. Es herrscht völlige Dunkelheit. Dort, wo kein Photon der Sonne mehr durchdringt, erzeugen die faszinierenden Lebewesen der Tiefsee ihr eigenes Licht ‒ per Biolumineszenz. Das ist mein Lieblingsmoment: Ich schalte das Licht ab und sehe, wie um mich herum das Leben schimmert. Es geht aber noch tiefer. Bei etwa 2.000 oder 3.000 Metern Tiefe ist das Wasser komplett klar, es gibt fast keine Partikel. Große Tintenfische und sehr seltsame Tiefseefische schwimmen vorbei. Und wenn man sich dann langsam dem Meeresboden nähert, entdeckt man wieder jede Menge Leben.

Ich schalte das Licht wieder ein, sehe den Meeresboden, all die vielen Spuren von Leben, und weiß: Ziel erreicht, die Probennahme kann beginnen. Ab jetzt läuft die Uhr, denn solche Tauchgänge dauern normalerweise nie länger als sechs bis acht Stunden. Und das ist immer zu kurz. Man hat nur zwei oder drei Stunden am Meeresboden, bevor das U-Boot wieder aufsteigt. Diese Zeit vergeht immer viel zu schnell, weil man die ganze Zeit am liebsten nur aus dem Fenster schauen würde. Aber natürlich hat man Aufgaben zu erledigen: Dokumentieren, Proben nehmen und die Mannschaft oben auf dem Schiff auf dem Laufenden halten etc. Die Zeit vergeht immer wie im Fluge. Und dann ist der Tauchgang vorbei, es geht wieder nach oben.

  • Interview mit Prof. Dr. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.
    Alfred-Wegener-Institut / UFA Show & Factum
  • Interview mit Prof. Dr. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.
    Alfred-Wegener-Institut / Lars Grübner
  • Interview mit Prof. Dr. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.
    Alfred-Wegener-Institut / UFA Show & Factum

Wie kam es, dass die Erforschung der Tiefsee zu Ihrer Lebensaufgabe wurde?

Noch im Studium wurde ich eingeladen, an einer Tiefsee-Expedition teilzunehmen. Das hat mein Leben und meine Karriere komplett verändert, denn als ich da draußen auf dem Meer war und den Meeresboden mit meinen eigenen Augen sehen konnte – die Fremdartigkeit des Lebens und die Verschiedenartigkeit der Landschaft Tausende von Metern unter der Meeresoberfläche – war ich absolut sicher, dass genau das meine Berufung ist. Diesen Teil unserer Erde zu verstehen, zu dem wir als Menschen normalerweise keinen Zugang haben. Aber ich realisierte schon sehr früh, dass unsere Arbeit als Meeresforscher mehr beinhaltete, als zu dokumentieren und zu erforschen. Schon als ich vor 30 Jahren als Studentin angefangen habe, sahen wir überall die Spuren, die wir Menschen hinterlassen. Ob in Form von Müll, den Auswirkungen des Klimawandels, den ersten Versuchen zum Abbau von Metall in der Tiefsee, den Überresten der Fischerei oder anderen Störungen des Meeresbodens. Die Veränderungen, die wir Menschen über die Ozeane gebracht haben, sind so gravierend, dass mir schnell klar wurde, dass ich die Tiefsee nicht nur erforschen und bewundern konnte, sondern dass ich auch Augenzeuge der menschlichen Eingriffe sein und Wege finden musste, um politische Entscheidungen zu beeinflussen und unser Verhältnis zum Meer zu verändern

  • Interview mit Prof. Dr. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.
    Alfred-Wegener-Institut / Lars Grübner

Wo stehen wir bei den CO2-Emissionen und ihren Auswirkungen auf den Klimawandel?

Schon am Anfang meiner Laufbahn beschäftigte uns das Thema des Kohlenstoffkreislaufs und der Kohlenstoffflüsse im System Erde. Wir lernten schon damals, dass sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre immer mehr erhöht und welche negativen Folgen das für die Erderwärmung hat. Die Erkenntnis, dass Wissenschaftler schon mein ganzes Leben lang die Regierungen der Welt davor warnten, und dass die Konzentration heute trotzdem mehr denn je steigt, ist frustrierend.

Aufgrund der Pandemie und des mit den Reisebeschränkungen verbundenen geringeren Energieverbrauchs haben wir jedoch die bislang größte Reduzierung der CO2-Emissionen in der Menschheitsgeschichte verzeichnet. Wir können nur hoffen, dass wir daraus lernen und zukünftig bessere Lösung für die Energieversorgung finden, etwa über den Umstieg auf regenerative Energien.

Interview mit Prof. Dr. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.

Ich habe die Hoffnung, dass das, was wir heute schon erleben, unsere Energien freisetzt und uns als Menschheit zusammenbringt, um gemeinsam eine bessere Zukunft zu schaffen.

Antje Boetius Mikrobiologin und Forscherin

Inwiefern sind die Regionen der Arktis ein möglicher Indikator für die Veränderungen, die den Rest der Erde in Zukunft erwarten?

Ich werde meine erste Expedition in die Arktis nie vergessen. Ich hatte mich davor rein auf die Tiefsee konzentriert. Und dann lernte ich das Meereis als Lebensraum kennen. Das war im Jahr 1992.

2012 kehrte ich mit dem gleichen Schiff und neuer Technik zurück. Das war das Jahr mit der bisher größten Meereisschmelze seit Beginn der Aufzeichnungen.

Wir besuchten die exakt gleiche Region, in der ich auch während meiner Doktorarbeit war. Ich war schockiert, in welch rasantem Tempo sich die gesamte Region in dieser vergleichsweise kurzen Zeit verändert hatte. Das Ausmaß der Erwärmung lag weit über dem globalen Durchschnitt. Die Eisschicht auf dem Meer war viel dünner. Sie bricht jetzt viel leichter und schmilz im Sommer sehr schnell. Der Winter in der Arktis ist heute viel wärmer als jemals zuvor.

Zu sehen, wie sich diese Veränderung auf jeden Teil der Arktis, von der Atmosphäre bis zur Tiefsee, auswirkt, zerreißt einem das Herz. Es verdeutlicht, dass wir allein durch unseren Energieverbrauch jeden Ort auf dieser Erde massiv verändern, selbst in so entfernten Gebieten wie dem Nordpol.

  • Interview with Prof. Antje Boetius, microbiologist, researcher.
    Alfred Wegener Institute / UFA Show & Factum

Wie muss sich Ihrer Meinung nach das Verhältnis der Menschen generell zum Meer verändern?

Wenn man sie fragt, würden die meisten Menschen sagen, dass sie das Meer lieben. Sie lieben es, am Meer zu sein. Sie lieben die Ozeane. Sie wollen, dass die Wellen geschützt werden. Sie wollen, dass die Pinguine und die Eisbären geschützt werden. Sie sind deshalb oft sehr bestürzt, wenn sie erkennen, dass jeder Einzelne von uns schon heute Auswirkungen auf den Ozean hat, und zwar weltweit. Den CO2-Ausstoß habe ich schon erwähnt. Aber es gibt noch andere, verstecktere Auswirkungen.

Unser täglicher Gebrauch von Einwegplastik hat beispielsweise sehr große Auswirkungen auf die Meere. Der Wind treibt viel Plastik ins Meer und mit dem Niederschlag gelangt auch Nanoplastik in die Ozeane. Je mehr Plastik wir verbrauchen, desto mehr davon landet auch im Meer.

Ein weiterer versteckter Punkt ist die Landwirtschaft. Sie findet zwar auf dem Land statt, aber die auf den Feldern ausgebrachten Nährstoffe, die Dünger, werden über den Regen und die Flüsse ins Meer gespült. Dadurch gibt es in den Meeren ein Überangebot an Nährstoffen, was Auswirkungen auf den Nährstoffkreislauf hat – die sogar noch größer sind als die Störungen des Kohlenstoffkreislaufs. Das beeinflusst die Gesundheit der Meere und Küstenregionen und kann das Wachstum vom giftigen Algen und andere Umweltschäden zur Folge haben.

Und dann ist da natürlich unsere Ernährung. Nur wenige wissen, dass wir mehr Fisch aus Aquakultur als aus freier Wildnis konsumieren. Und das hat Folgen. Wenn sie nicht nachhaltig betrieben werden, können Aquakulturen beispielsweise Mangrovenwälder oder Seegraswiesen zerstören, ebenso wie die Fjorde oder andere Orte, an denen Fische in großer Enge gehalten werden. Antibiotika werden ins Meer gekippt. Wir bekommen anoxische Zonen.

Die Liste der Auswirkungen, die wir in unserem täglichen Leben auf die Meere haben, ist leider ziemlich lang. Und oft haben wir eigentlich gar keine Wahl. Niemand kann mit seinem individuellen Verhalten direkten Einfluss darauf nehmen, dass sich die Dinge verändern. Das Schicksal der Ozeane hängt vielmehr von politischen Entscheidungen ab. Wir brauchen andere Regeln, andere Wege der Nahrungsbeschaffung, eine andere Material- und Energienutzung.

Wie müssen wir weltweit unser Verhältnis zu den Meeren verändern?

Das kann man gar nicht so klar sagen. Die meisten Menschen können perfekt zum Ausdruck bringen, wie sehr sie das Meer lieben, aber das ist nicht genug. Unser weltweites wirtschaftliches und politisches System ist nicht auf den Schutz der Natur ausgerichtet, sondern auf ihre Zerstörung. Wir müssen also zuerst all jene Verhaltensweisen und Rahmenbedingungen korrigieren, die gutes Handeln bestrafen und schlechtes belohnen.

Gibt es etwas, das Sie für unsere Zukunft optimistisch stimmt?

Ehrlich gesagt dominieren die Sorgen. Die Prognosen für das Jahr 2100 besagen, dass bis dahin 99 % unserer Korallenriffe verschwunden sein werden, und zwar aufgrund der sogenannten Korallenbleiche, die auf den Anstieg der Wassertemperatur zurückzuführen ist. Wir werden eine im Sommer eisfreie Arktis haben. Die Bedrohung durch den Klimawandel oder die Zerstörung von Lebensräumen und Tier- und Pflanzenarten wird vielleicht so massiv werden, dass unsere eigene Gesundheit gefährdet ist.

Ich setze meine Hoffnung auf das, was wir heute schon erleben – die Kombination von Wissen, technischen und sozialen Lösungen und dem Bewusstsein für die Krise, die schon da ist – dass das unsere Energien freisetzt und uns als Menschheit zusammenbringt, um gemeinsam eine bessere Zukunft zu schaffen. Diese Hoffnung habe ich.

Making-of

  • Making-of des Interviews mit Prof. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.
  • Making-of des Interviews mit Prof. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.
  • Making-of des Interviews mit Prof. Antje Boetius, Mikrobiologin und Forscherin.
  • Making-of (00:36 Min.)


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