Biegeversuch
Für spröde und duktile Materialien gleichermaßen geeignet
Biegeversuche werden durchgeführt, um Informationen über die Biegeeigenschaften von Werkstoffen zu erhalten, die für industrielle Zwecke oder für Forschung und Entwicklung bestimmt sind. Dabei kommen verschiedene Prüfvorrichtungen zum Einsatz.
Was ist ein Biegeversuch?
Ein Biegeversuch (Biegezugversuch) ist eine Methode zur Prüfung von Werkstoffen auf ihre Biegefestigkeit und andere wichtige Eigenschaften. Die zerstörende Werkstoffprüfung wird für Kunststoffe, faserverstärkte Kunststoffe (FVK), Metalle und keramische Werkstoffe eingesetzt. Biegeversuche ähneln einander in ihrem Ablauf. Je nach Anzahl der Druckpunkte und der Lagerung des Prüfkörpers unterscheidet man zwischen folgenden Möglichkeiten:
- 1-Punkt-Biegeversuch
- 3-Punkt-Biegeversuch
- 4-Punkt-Biegeversuch
Bei Biegeversuchen platziert man genormte, meist zylindrische Prüfkörper in der Mitte der Prüfvorrichtung. Die abgerundeten Stützrollen (Auflager) sind in einem bestimmten Abstand (Stützweite) parallel zueinander angeordnet. Der Durchmesser des zylindrischen Prüfkörpers steht in einem bestimmten Verhältnis zur Stützweite der Auflager. Der Prüfstempel, der sich langsam und mit gleichbleibender Geschwindigkeit nach unten bewegt, belastet die Probe mit zunehmender Kraft, bis sie bricht oder die vorher festgelegte Verformung erreicht. Die maximale Kraft, die während des Biegeversuchs ausgeübt wird, wird als Bruchkraft bezeichnet.
Während der Prüfung werden die Werte der Biegekraft und der Durchbiegung aufgezeichnet. Anschließend bestimmt man die Materialkennwerte. Der gesamte Prüfablauf wird in einem Spannungs-Dehnungs-Diagramm dargestellt und kann zusätzlich mit einer Videokamera aufgezeichnet werden. Biegeversuche erfolgen mit dem Ziel, aus der einachsigen Biegebeanspruchung Informationen über das Biegeverhalten des geprüften Werkstoffs zu erhalten. Bei spröden Werkstoffen ermittelt man die Biegefestigkeit auf diese Weise. Bei duktilen Materialien werden die Biegefließgrenze, der größtmögliche Biegewinkel sowie das Elastizitätsmodul bestimmt, falls die auftretende Verformung elastisch ist.
Bei der Werkstoffprüfung mittels Biegeversuch liefern moderne optische Messsysteme mit hochauflösenden Kameras präzise Bilder des Prüfkörpers. Zur Dokumentation von Flachproben reichen meist Geräte mit einer einzigen Kamera aus. Komplexere Probengeometrien lassen sich mit zwei Kameras exakt vermessen. Der Werkstoffprüfer bringt zuerst ein stochastisches Punktmuster auf die Probe auf oder nutzt die vorhandene Oberflächenstruktur. Optische Messsysteme arbeiten mit Algorithmen zur Bildkorrelation: Sie erkennen auf den hochaufgelösten Bildern die durch den Biegeversuch verursachte Verformung und berechnen anschließend die Durchbiegung mithilfe der Pixelkoordinaten des Punktmusters.
Was versteht man unter Biegespannung?
Beim Biegeversuch ist die Biegebeanspruchung in der Mitte des Prüfkörpers am größten (höchste Durchbiegung). An dieser Stelle ist stets das größte Biegemoment vorhanden. Vom zentralen Druckpunkt aus nimmt das Biegemoment in beide Richtungen linear zu den Auflagern hin ab. Der Werkstoff wird an seiner Innenseite durch Druck und an seiner Außenseite durch Zug beansprucht. In den Randfasern des Prüfkörpers ist die Biegespannung (Zug- und Druckspannung) am größten und verringert sich nach innen zur neutralen Faser hin. In diesem Zusammenhang spricht man auch von einer inhomogenen Spannungsverteilung.
Entlastet man beim Biegeversuch den teilweise plastisch verformten Probekörper durch Hochfahren des Prüfstempels, sind nur noch die im Werkstoff vorhandenen inneren Spannungen (Eigenspannungen) und das sich daraus ergebende Drehmoment wirksam. Dadurch formt sich die Probe teilweise zurück.
Biegeverhalten duktiler Werkstoffe
Ist die Biegespannung in der Probe aus einem duktilen Werkstoff kleiner als die Grenzspannung der plastischen Verformung, ist die Biegebeanspruchung ausschließlich elastisch. Mit zunehmender Biegebeanspruchung wird die Streckgrenze (kritische Spannung) zuerst in den Randbereichen der Probe überschritten. Diese Bereiche verformen sich dann plastisch (der so genannte Materialfluss). Als Biegefließgrenze bezeichnet man die Grenzbiegespannung, bis zu der gut verformbare Materialien durch Biegen belastet werden können, ohne sich im Randbereich dauerhaft zu verformen.
Wann eine solche Verformung eintritt, stellt man direkt am Prüfstempel fest: Man misst die Durchbiegung im Verhältnis zur ausgeübten Kraft. Die ermittelten Werte werden in einem Durchbiegungs-Kraft-Diagramm dargestellt. Mit zunehmender Durchbiegung sind immer mehr innere Bereiche des Prüfkörpers an der plastischen Verformung beteiligt. Dies ist eine Folge des erhöhten Spannungsverlaufs. Bei Stählen z. B. ist die Biegefließgrenze wegen des linearen Spannungsverlaufs zwischen 10 und 20 Prozent höher als die Streckgrenze. Wird beim Biegeversuch die Streckgrenze in den Randfasern überschritten, behindern die inneren und ausschließlich elastisch beanspruchten Fasern die Fließbewegung.
Biegeversuche mit duktilen Werkstoffen unterscheiden sich von denen mit spröden Materialien: Zähe Werkstoffe lassen sich zwar plastisch extrem verformen, aber nicht brechen, egal wie stark die angewandte Kraft ist. Schlimmstenfalls würde die Probe zwischen den Auflagern durchgezogen werden. Daher ist der Biegeversuch mit einer duktilen Probe beendet, wenn die Fließgrenze überschritten wird. Die Biegefestigkeit duktiler Werkstoffe bestimmt man mithilfe des Zeitpunkts, bei dem die plastische Verformung eintritt.
Biegeverhalten spröder Werkstoffe
Prüfkörper aus spröden Materialien zeigen bei der Werkstoffprüfung ein anderes Biegeverhalten. Sie zerbrechen, ohne dass es zu deutlich erkennbarem Fließverhalten kommt. Daher ist die Bestimmung der Biegefließgrenze bei spröden Materialien komplizierter. Um dennoch die Biegefestigkeit feststellen zu können, bestimmt man die maximale Biegespannung, bei der die Probe zerbricht. Die Biegefestigkeit ist allerdings ein fiktiver Wert, der nicht mit der tatsächlich im Werkstoff auftretenden Biegespannung identisch ist. Ein weiterer Materialkennwert beim Biegeversuch mit spröden Materialien ist die Bruchdurchbiegung. Dieser Fachbegriff beschreibt die größtmögliche Durchbiegung des Prüfkörpers kurz vor dem Bruch.
Die Bruchdurchbiegung ist von der Stützweite abhängig: Größere Abstände zwischen den Auflagern ermöglichen größere Durchbiegungen. Um die Festigkeit spröder Werkstoffe zu prüfen, ist der Biegeversuch oft besser geeignet als der Zugversuch, da die Materialien nur auf Biegung beansprucht werden. Würde man diese Probe einem Zugversuch unterziehen, würde sie vorzeitig brechen und es würden Messprobleme auftreten. Bei bestimmten spröden Werkstoffen wird daher der Zugversuch durch den Biegeversuch ersetzt. Zu diesen kritischen Materialien gehören nach DIN EN ISO 178 duroplastische Tafeln und Formstoffe, thermoplastische Spritzguss-Formmassen und faserverstärkte Kunststoffe.
Arten von Biegeversuchen
Bei der Werkstoffprüfung im Biegeversuch unterscheidet man je nach Anzahl der Druckpunkte und der Art der Prüfkörperlagerung zwischen dem 1-, 3- und 4-Punkt-Biegeversuch.
Fazit
Biegeversuche werden mit genormten Proben und drei oder vier Druckpunkten durchgeführt (3-Punkt-, 4-Punkt-Biegeversuch). Sie führen entweder zur Zerstörung des Prüfkörpers oder zu seiner plastischen Verformung (nur bei duktilen Werkstoffen). Optische Messtechnik der neusten Generation liefert deutlich präzisere Ergebnisse als herkömmliche Messverfahren.