Taktile und optische Messtechnik

Taktile und optische Messtechnik

Vorteile, Unterschiede und Anwendungsbereiche

Vorteile, Unterschiede und Anwendungsbereiche der beiden Messverfahren

Da die Anforderungen an die Bauteilqualität stetig steigen, ist die Prüfung geometrischer Abmessungen – einschließlich nachvollziehbarer Dokumentation – im Fertigungsprozess heutzutage ein Muss. Vor der Beschaffung eines neuen 3D-Messsystems stellt sich jedoch die grundlegende Frage, welche Technologie für die entsprechende Messaufgabe am besten geeignet ist. Braucht man ein taktiles 3D-Messsystem, bei dem relevante Messstellen mit einem Messtaster erfasst werden? Oder ist ein optisches 3D-Messsystem zu bevorzugen, das die komplette Oberfläche berührungslos digitalisiert? Dieser Artikel erklärt die grundlegende Funktionsweise beider Verfahren und beleuchtet die Vorteile, Unterschiede und Anwendungsbereiche am Beispiel der Automobilindustrie.

Taktile Messtechnik: punktuelle Erfassung der Objektoberfläche durch Antasten

Im Bereich der dimensionalen Werkstückprüfung sind Koordinatenmessgeräte (KMGs) die bekanntesten Vertreter der klassischen Messtechnik. KMGs arbeiten mit taktilen oder scannenden Messsystemen. Für die Messung wird der Taster am gewünschten Messpunkt positioniert. Optional kann ein gesteuerter Drehtisch eingesetzt werden, der das Werkstück rotatorisch verfährt. Aus den erfassten Einzelpunkten berechnet die angeschlossene Messsoftware die Geometrieelemente und leitet daraus die Ist-Werte für die zu prüfenden Objektmerkmale ab.

Taktile Messtechnik ist für Hochpräzisionsteile die erste Wahl

  • Taktile Messungen

Die taktile Messtechnik überzeugt vor allem durch ihre sehr hohe Absolutgenauigkeit und ist darum für die Vermessung von Hochpräzisionsbauteilen die erste Wahl. Ein stationäres KMG kann Messpunkte auf einen tausendstel Millimeter genau erfassen. Eine derart hohe Genauigkeit lässt sich heute mit optischer 3D-Messtechnik nicht erreichen.

Liegt die Genauigkeitsanforderung „nur“ im hundertstel Millimeterbereich, ist optische 3D-Messtechnik sehr gut geeignet. Wer ein neues Messsystem anschaffen möchte und zwischen taktil und optisch schwankt, sollte darum im ersten Schritt prüfen, welche Genauigkeiten zu gewährleisten sind. Eine Faustformel besagt, dass die Systemgenauigkeit des Messmittels immer um den Faktor fünf bis zehn besser sein sollte als die höchste geforderte zu messende Toleranz. Dies bedeutet: Wenn die Toleranz eines Merkmals z.B. 0,1 mm beträgt, sollte das Messgerät eine Genauigkeit von mindestens 0,02 mm haben.

In der Automobilindustrie sind Zahnräder, Kurbelwellen und Motorblöcke die klassischen Kandidaten für taktile Messungen: Die einzuhaltenden Toleranzen und Genauigkeiten dieser Teile erfordern ein Höchstmaß an Präzision. Für ein Getriebezahnrad aus dem Automobilbau wird im Normalfall eine Genauigkeit von 1 µ oder besser gefordert. Diese Genauigkeit lässt sich mit optischen Messmitteln derzeit kaum abbilden.

Taktile Messung: langwierig und nicht flächenhaft

Gegen die taktile Messtechnik spricht der hohe Zeitaufwand, wenn höhere Datendichten erforderlich sind: Das Antasten von Hunderten von Messpunkten an einem Werkstück kann sehr lange dauern, manchmal mehrere Stunden. Eine 100%-Prüfung im laufenden Produktionsprozess ist so kaum möglich – einerseits aus den vorgenannten Zeitgründen, andererseits weil viele KMGs meist nicht direkt in der Produktion eingesetzt werden können. Um Zeit zu sparen, kann man die Anzahl der Messstellen reduzieren – das geht allerdings zu Lasten der Datendichte. Hier muss immer das Verhältnis von Zeitaufwand zu Informationsgehalt sorgsam abgewägt werden.

Egal wie viele Messpunkte unter größter Sorgfalt erfasst werden: Es ist nicht möglich, die gesamte Oberfläche des Messobjekts zu messen. An dieser Stelle kommt die optische Messtechnik ins Spiel: Das Verfahren ist nicht nur schneller, sondern erzeugt auch ein digitales Abbild des gesamten Messobjekts und liefert damit detailliertere Qualitätsinformationen als die taktile Messtechnik.

Optische Messtechnik: vollflächige Erfassung der Objektoberfläche ohne Berührung

Optische Messsysteme (z. B. Laserscanner, Photogrammetrie- oder Streifenprojektionssysteme) erfassen das Messobjekt mithilfe von optischen Sensoren. Die Messung geschieht kontaktlos; der Messsensor berührt die Oberfläche des Messobjekts zu keiner Zeit. Das berührungslose Messprinzip hat einen entscheidenden Vorteil bei empfindlichen Objektoberflächen: Beschädigungen am Messobjekt können sicher vermieden werden. Verschleißerscheinungen, wie man sie von Tastern taktiler Messsysteme kennt, können ebenfalls nicht auftreten.

Optische Messung: schnell mit hoher Datendichte

Der Messvorgang mit optischen 3D-Messsystemen ist sehr einfach: Das Messobjekt wird vor dem Sensor platziert - entweder manuell oder robotergesteuert. Dann beginnt die Bildaufnahme: Der Messsensor erfasst Schritt für Schritt jede Seite des Messobjekts. Um alle Oberflächenbereiche zu erfassen, wird entweder das Werkstück bewegt, sodass immer neue Bereiche in das Blickfeld des Sensors vordringen, oder aber der Sensor wird um das Werkstück herum bewegt. Die angeschlossene Messsoftware transformiert dann alle Einzelmessungen automatisch in ein gemeinsames Koordinatensystem. Daraus ergibt sich eine vollständige 3D-Punktewolke der Objektoberfläche. Die gewonnenen Messdaten erlauben vielfältige Inspektionen, z. B. flächenhafte Soll-Ist-Vergleiche der Objektgeometrie oder die Prüfung von Form- und Lagetoleranzen. Anhand farbiger Abweichungsdarstellungen zum CAD sind problematische Bereiche leicht zu erkennen, sodass der Herstellungsprozess zielgerichtet verbessert werden kann. Dadurch lassen sich überflüssige Iterationsschleifen vermeiden.

Ein weiterer Vorteil der optischen 3D-Messtechnik: Das Messverfahren ist extrem schnell. Die Digitalisierung komplexer Werkstücke ist nach wenigen Minuten – manchmal sogar schon innerhalb von Sekunden – erledigt.

Beispiele für den Einsatz optischer 3D-Messtechnik in der Automobilindustrie gibt es in Hülle und Fülle: von der Prozessplanung für die Maschinenfähigkeitsuntersuchung über die automatisierte Qualitätskontrolle in Presswerk und im Karosseriebau sowie die Prüfung von Guss-, Schmiede- und Kunststoffteilen bis hin zur Prozessoptimierung in der Endmontage.

Oberflächenvorbehandlung in einigen Fällen notwendig

Oberflächenvorbehandlung in einigen Fällen notwendig

Hochglanzbauteile im Motorenbau (z. B. Zahnräder, Kurbelgehäuse, Zylinderköpfe), spiegelnde Fräsbauteile oder transluzente Bauteile aus Glas, Kunstharz oder sehr hellem Kunststoff stellen eine Herausforderung für optische Sensoren dar. Der Grund ist einfach: Eine Messung mit Licht funktioniert bei lichtdurchlässigen, reflektierenden oder spiegelnden Materialien nicht oder nur eingeschränkt, es sei denn, man schafft Abhilfe: Man besprüht das Messobjekt vor der Messung mit einem speziellen Scanningspray. Das Spray legt sich auf die Objektoberfläche und macht diese für optische Messsysteme messbar.

Kombination beider Verfahren

  • ZEISS O-INSPECT

Mittlerweile kommen immer mehr Messsysteme auf den Markt, die beide Messmethoden kombinieren: Um die Messung zu beschleunigen und die Messung berührungsempfindlicher Oberflächen zu ermöglichen, können KMGs mit einem optischen Sensor ausgestattet werden. Optische Messsysteme können wiederum um einen Taster erweitert werden, um „in die Tiefe zu schauen“ und zusätzlich verdeckte, optisch schwer messbare Stellen des Werkstücks zu erfassen – z. B. tiefe Bohrungen, Taschen oder Hinterschnitte. In diesem Zusammenhang ist ein wichtiger Aspekt zu beachten: Die Systemgenauigkeit optischer 3D-Messsysteme kann nicht durch einen zusätzlichen Taster erhöht werden - es ist lediglich möglich, zusätzliche Objektmerkmale an komplexen Strukturen zu erfassen.

Optische Messtechnik von ZEISS

Für die optische 3D-Maßprüfung hat ZEISS die industriellen 3D-Scanner der Serie ATOS entwickelt: Die optischen 3D-Scanner arbeiten berührungslos und liefern schnell ein digitales Abbild des Werkstücks mit hoher Bildauflösung. Hierfür kombiniert ATOS modernste Hardware mit intelligenter Software.


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