Schwerpunkt Myopie
Zehn Jahre Forschung am ZEISS Vision Science Lab
Erstelldatum: Juni 2023
Wer als Hersteller von Präzisionsoptik immer besser werden möchte, muss forschen und entwickeln. Seit seiner Gründung im Oktober 2013 erforscht das ZEISS Vision Science Lab die physiologischen, neurowissenschaftlichen und optischen Grundlagen des menschlichen Sehens und veröffentlicht regelmäßig die Ergebnisse zu den Schwerpunkten Myopie, Presbyopie, Visuelle Rehabilitation und (Vertrauen in) Künstliche Intelligenz.
Eines der zentralen Labore im ZEISS Vision Science Lab ist das Visual Optics Lab, in dem vor allem Myopieforschung betrieben wird. Hier befindet sich ein Augenheilkundegerät für die Bildgebung, ein OCT-Gerät (Optische Kohärenztomografie). Es zeigt die Netzhaut und die Aderhaut des Auges dahinter. Dr. Katharina Breher, Wissenschaftlerin mit Schwerpunkt Physiologische Optik, beschreibt sie folgendermaßen: „Die Aderhaut ist ein Biomarker. Es ist ein Gewebe, das sehr schnell auf äußere Einflüsse reagiert. Das ist sehr hilfreich beim Testen diverser Brillengläser wie Myopie-Kontrollgläser, da sich auf diese Weise Studien verkürzen lassen. Insbesondere im klinischen Umfeld ein deutlicher Vorteil.“ Doch die Untersuchung der Aderhaut mithilfe des OCT-Geräts ist nur ein Beispiel für die unterschiedlichen Myopie-Forschungsmethoden am ZEISS Vision Science Lab.
Wie wichtig die Myopie-Forschung ist, unterstreicht Dr. Arne Ohlendorf, Wissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt Myopie-Entwicklung: „Bereits vor der Gründung dieses Instituts hat ZEISS mit Expertinnen und Experten aus der Myopie-Forschung zusammengearbeitet, um bedarfsgerechte Brillenglaslösungen anbieten zu können. Auch am Institut für Augenheilkunde in Tübingen ist die Myopie seit vielen Jahren eines der zentralen Forschungsthemen, wodurch wir von Anfang an wissenschaftliche Kollaborationen aufbauen konnten.”
Auch bei der Entwicklung der ZEISS MyoCare Brillengläser war das ZEISS Vision Science Lab von Beginn an involviert. „Bei der Entwicklung neuer Brillengläser wie der Myopie-Kontrollgläser arbeiten wir nicht nur eng mit den Kollegen bei ZEISS Vision Care, sondern auch mit internationalen wissenschaftlichen Institutionen und Augenkliniken zusammen“, so Ohlendorf. Beispiele hierfür sind eine gemeinsame Langzeitstudie mit der Universität Leipzig (‚LIFE Child‘ Studie), klinische Studien mit der Universitäts-Augenklinik Wenzhou in China und Forschungskooperationen mit der Universität Murcia in Spanien. Mit letzterer konnte erst kürzlich zusammen mit Professor Pablo Artal ein neues Instrument basierend auf der Technologie der räumlichen Lichtmodulation entwickelt werden. Damit konnten Brillengläser zur Behandlung der Myopie-Progression zum ersten Mal optisch unter realen Betrachtungsbedingungen quantifiziert und in einem hochkarätigen Journal veröffentlicht werden. [LINK].
Myopie ist seit einigen Jahren einer der zentralen Forschungsbereiche am Institut für Augenheilkunde in Tübingen, so dass wir von Anfang an eng mit diesem Institut zusammenarbeiten konnten.
Validierungsstudien für augenoptische Messinstrumente
Neben Studien zur Entwicklung neuer Brillenglasdesigns werden auch Validierungsstudien für augenoptische Messinstrumente in der Forschungseinrichtung durchgeführt. Das passiert in der Regel ebenfalls im Visual Optics Lab. Neben dem OCT-Gerät stehen hier einige der von ZEISS entwickelten augenoptischen Messinstrumente, wie etwa ZEISS VISUFIT 1000 oder ZEISS i.Profiler plus zur objektiven Refraktion.
Bei Validierungsstudien für neue, von ZEISS entwickelte augenoptische Messinstrumente, arbeiten die Wissenschaftler des ZEISS Vision Science Labs und die Abteilung Vision Technology Solutions bei ZEISS Vision Care eng zusammen. Die Anforderungen an das neue Gerät werden dabei von dem Team von Vision Technology Solutions formuliert und daraufhin eine Studie vom ZEISS Vision Science Lab designt und durchgeführt. So wird jedes von ZEISS entwickelte augenoptische Messinstrument bereits während der Entwicklungsphase von der wissenschaftlichen Einrichtung umfangreich getestet und vor der Markteinführung validiert.
Von der Forschungsidee zur Produktlösung
„Dem Gründungsmotto ‚enabling natural and enhanced vision‘ sind wir bis heute treu geblieben“, erklärt Professor Siegfried Wahl. Er leitet das ZEISS Vision Science Lab, das am Institut für Augenheilkunde in Tübingen angesiedelt ist, seit seiner Gründung vor zehn Jahren. Entstanden aus der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung wird die Industry-on-Campus-Professur bis heute gemeinsam von der Carl Zeiss Vision International GmbH und der Universität Tübingen geführt. „Unsere Ziele sind zum einen, ein natürliches Seherlebnis mit Brillengläsern zu schaffen, zum anderen die Bedingungen für klares, gesundes Sehen und seine Entwicklung zu erforschen”, so Wahl. „Übergeordnet ist das grundsätzliche Verständnis der visuellen Wahrnehmung, da neben der Augenheilkunde insbesondere die Neurowissenschaften eine weltweit anerkannte Kompetenz der Universität Tübingen sind. Denn immer noch gibt es viele Fragen zum komplexen Auge-Hirn-System und den individuellen Faktoren menschlichen Sehens, die wir besser verstehen müssen.“
Begonnen hatte alles mit einem dreiköpfigen Team. Heute sind insgesamt neun promovierte Forschende sowie mehrere Promovierende und Studierende am Lab tätig und damit als Team nicht nur breit, sondern auch international aufgestellt. Es betreibt „application inspired research”, also anwendungsinspirierte Forschung. „Zu jeder Forschungsidee muss eine klinische Notwendigkeit und eine Produktvision existieren, woraus die Forschungsfrage inspiriert wird, die das Produkt substantiiert“, erklärt Wahl.
Unser Ziel ist es, einerseits ein natürliches Seherlebnis mit Brillengläsern zu schaffen, und andererseits die Bedingungen für klares, gesundes Sehen und dessen Entwicklung zu erforschen.
Das Team erforscht unter anderem mit Hilfe von EyeTracking das Blickverhalten im Labor und in verschiedenen Verhaltenssituationen. „Mit Hilfe von Eye Tracking können wir beispielsweise Rückschlüsse darauf ziehen, welche Bereiche eines Brillenglases für welche Sehsituationen genutzt werden”, erklärt die Neurowissenschaftlerin und Physikerin Dr. Katharina Rifai, die bereits seit 2013 am Lab tätig ist.
Auch bei der Studie, durch die ein Brillenglasdesign speziell für das Autofahren (ZEISS DriveSafe) entwickelt werden sollte, wurde diese Forschungsmethode eingesetzt. Dabei wurden die Augenbewegungen von Probanden mithilfe von speziellen Kameras beim Autofahren in einem realistischen Szenario aufgezeichnet. „Während der Fahrt wurden verschiedene Signale aufgenommen: Videos des Gesichts des Fahrers und der beobachteten Szene. Aus diesen Daten wurden mithilfe von Augenbewegungsmesstechnologie die Kopf- und Augenbewegungen des Fahrers extrahiert. Für das Brillenglasdesign ist die Kombination von Kopf und Auge wichtig, sie bestimmt die Brillenglasnutzung“, erklärt Rifai. „Ein weiteres Beispiel für ein blickoptimiertes Design ist das ZEISS SmartLife Brillenglas. Mithilfe einer Eye-Tracking-Brille wurden spezielle Bereiche auf dem Brillenglas identifiziert, die bei Handynutzung in Alltagssituationen genutzt werden.“ Die Brillenglasdesigns ZEISS DriveSafe und ZEISS SmartLife, die basierend auf den Erkenntnissen dieser Studien entwickelt wurden, sind heute erfolgreich am Markt etabliert.
Bei der Erforschung des Sehverhaltens setzen wir Eyetracking sowohl im Labor als auch in verschiedenen Verhaltenssituationen ein. Auf diese Weise können wir Rückschlüsse darauf ziehen, welche Bereiche eines Brillenglases in welchen Sehsituationen genutzt werden.
Künstliche Intelligenz im Blickfeld
Neben dem Institut für Augenheilkunde ist das ZEISS Vision Science Lab auch im AI Research Building, dem Forschungsgebäude zur Künstlichen Intelligenz in Tübingen, vertreten. Hier forscht das Team rund um Prof. Dr. Siegfried Wahl an drei Schwerpunktthemen: (Vertrauen in) Künstliche Intelligenz, smarte Algorithmen für Brillen mit elektronisch veränderbaren Eigenschaften und einer universellen KI-Schnittstelle für robuste Gehirn-Computer- oder Mensch-Computer-Interaktion. Vor allem die Prädiktion von Verhalten sowie der Forschungsgegenstand, wie Augen als Fenster ins Gehirn benutzt werden, sind von enormer Bedeutung. „Wir forschen an Möglichkeiten, um Menschen durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz mehr Lebensqualität bieten zu können. Zudem ist unser Ziel, mit unserer Forschung ein Vertrauen in Systeme mit KI aufzubauen“, erklärt Wahl. Die Technologien werden in komplexen Studien mit Probanden und Patienten getestet.
Auch wenn es so scheint, als sei das menschliche Sehen bereits zum Großteil erforscht, ist dem nicht so. „Es gibt erstaunlich viele ungeklärte Fragen rund um die visuelle Wahrnehmung“, so Wahl. „Die Forschungsfragen gehen uns noch lange nicht aus.“