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Unsere Augen sind immer in Bewegung, ob rasant oder gezielt.

10. Januar 2020
Our eyes are always in motion

Unsere Augen bewegen sich permanent. Wir richten sie gezielt dorthin, wo wir etwas wahrnehmen wollen. Das macht das Sehen zu einem aktiven Prozess. Sehen läuft also nicht einfach wie bei einer starren Videokamera ab, die Augen stehen nie wirklich still. Erfahren Sie in folgendem Interview, warum das Verständnis über unser Sehen maßgeblich für die Entwicklung von Brillengläsern ist.

Interview mit Dr. Katharina Rifai, Neurowissenschaftlerin und Physikerin am ZEISS Vision Science Lab in Tübingen

Bewegen sich die Augen immer gleich schnell?

Es gibt drei typische Augenbewegungen. Einmal die sogenannten Sakkaden, das sind sehr schnelle Bewegungen, die ständig stattfinden - bewusst und unbewusst. Einmal gestartet, kann diese Art der Augenbewegung nicht unterbrochen werden. Ihre Dauer liegt im Millisekunden-Bereich. Sie dient dazu, einen neuen Fixationspunkt anzuvisieren. Manche geschehen aber auch reflexartig. Es gibt außerdem natürlich die Fixationen, insbesondere von Objekten, denen wir gezielt Aufmerksamkeit schenken wollen oder müssten. In Fixationsphasen passieren Drift, ein langsames „Wandern des Auges“, und die kleine Schwester der Sakkade, die Mikrosakkade. Die dritte typische Augenbewegung ist das Verfolgen bewegter Objekte. Die Augenmuskeln sind im Übrigen sehr leistungsstark. Sie schaffen es, die extrem schnellen Bewegungen zu erzeugen, aber auch das konzentrierte Verfolgen eines bewegten Objekts.

Kann man diese Muskeln denn trainieren, damit das Auge besser wird?

Nein, diese Muskeln können wir nicht trainieren. Sie werden nicht besser, weil man die Augen öfter bewegt. Und wie gesagt, die Sakkaden zum Beispiel geschehen ständig – die Muskeln sind also immer aktiv, auch im Dunkeln.

Wenn wir etwas sehen wollen, bewegen wir auch unseren Kopf und nicht nur die Augen. Gehören diese Bewegungen auch zum Sehverhalten?

Neben dem Auge spielt der Kopf selbstverständlich eine wichtige Rolle für das Sehen. Denn Kopfneigung und -drehung entscheidet mit, wohin wir unsere Aufmerksamkeit richten können. Es gibt Situationen, in denen wir erst einmal nur die Augen bewegen und dann entweder nicht, oder erst später, den Kopf nachziehen. Oder es geschieht gleichzeitig. Auch das kann man untersuchen.

Wie wird denn das Sehverhalten untersucht und wozu?

Eine gängige Methode ist das Eye Tracking. Mit dem Eye Tracking können wir nachverfolgen, wohin jemand schaut. Das ist wichtig, um zu wissen, welche Informationen jemand in einer bestimmten Situation wahrnimmt – worauf er wie achtet. Da wir anwendungsorientiert forschen und an ZEISS angeschlossen sind, interessieren uns diese Informationen natürlich insbesondere für die Brillenglasentwicklung. Unsere Fragestellungen kreisen darum, durch welche Bereiche der Brille ein Verbraucher wann schaut.

Welche Untersuchungen werden daran angeschlossen?

Für die Wahrnehmung der Welt ist natürlich auch die Verarbeitung der visuellen Informationen im Gehirn zentral. Wir untersuchen den Sehprozess mit Hilfe der Psychophysik. Wir kontrollieren im Versuchsaufbau, welche visuellen Informationen gezeigt werden, stellen den Probanden dann binäre Fragen - also hat er zum Beispiel Objekt X gesehen oder nicht - und schließen daraus auf den Sehprozess. Das setzen wir natürlich immer in Verbindung mit bestehenden Forschungsergebnissen. Auf Basis schon bestehender Forschungsergebnisse können wir so zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangen.

Our eyes are always in motion

Heute sind wir ja fast alle digital unterwegs, sind viel in Bewegung, immer auf dem Sprung. Was bedeutet das für mein Sehverhalten, wenn ich viele Dinge gleichzeitig tue?

Für die Augen heißt das nur bedingt mehr Bewegungen, denn die Sakkaden beispielsweise passieren weiterhin ständig, auch bei Fixation. Aber man muss natürlich die Aufmerksamkeit gezielter steuern, wenn viele Informationen vorhanden sind und wir diese auch noch in Bewegung aufnehmen. Das ist eine kognitive Mehrleistung. Und was ganz sicher passiert, ist, dass sich unsere Blicke anders verteilen und dass das Auge viel akkommodieren, also scharf stellen muss. Wenn ich zum Beispiel mit dem Handy in der Hand durch eine belebte Straße laufe, die S-Bahn erreichen will, an Menschen und Autos vorbeimuss, muss ich vieles wahrnehmen, um mich sicher zu bewegen. Viel, was in unterschiedlicher Entfernung ist und trotzdem meiner Aufmerksamkeit bedarf. Das ist eine Mehrleistung für die Augenlinse. Manches werde ich gezielt wahrnehmen, in dem ich direkt hinschaue und scharf stelle, anderes nur peripher – sozusagen aus dem Augenwinkel. Manchmal werde ich nur die Augen kurz auf das interessante Objekt stellen, ein anderes Mal den Kopf mitbewegen und das Objekt fixieren. Das ist natürlich ein großer Unterschied zu einer Situation, in der ich in Ruhe ein Buch lese oder aber auch eine Unterhaltung an einem ruhigen Ort führe, ohne dass ich nebenbei noch auf mein Smartphone schaue.

Hat das Smartphone denn einen messbaren Einfluss auf unser Blickverhalten?

Ja, definitiv. Das konnten wir auch anhand einer Eye Tracking Studie nachweisen. Die Studie zeigt, dass das Smartphone durch seine Anwesenheit in drei verschiedenen Situationen, einem Gespräch, Computerarbeit und in Bewegung, deutlich das Blickverhalten ändert. Es verteilt sich signifikant vertikaler. Wir richten unsere Blicke zwar immer noch viel geradeaus und auch ähnlich viel in die Peripherie, das heißt, nach rechts und links. Aber es werden nun eben überzufällig Blickrichtungen häufig, die wir vorher kaum genutzt haben, nämlich der Blick nach unten. Das bedeutet unter anderem, dass wir den Kopf nicht vollständig ausrichten. Gerade wenn wir Smartphones nutzen, schauen wir häufig nach unten, anstatt den Kopf nach unten zu neigen. Diese Erkenntnisse fließen direkt ein in moderne Brillenglasdesigns, denn sie zeigen, dass insbesondere durch den unteren Teil des Brillenglases geschaut wird.


Vielen Dank für das Gespräch!

Pressekontakt Miriam Kapsegger

ZEISS Vision Care


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