"Kurzsichtigkeit bei Kindern ist ein sehr emotionales Thema."
Augenoptikermeister Patrick Petzold über seine Erfahrungen im Umgang mit kurzsichtigen Kindern.
Patrick Petzold ist Teil des Teams von Kästner Optik in Stuttgart.
Herr Petzold, Statistiken zeigen, dass weltweit immer mehr Kinder kurzsichtig werden. Auch hierzulande, und viele von ihnen entwickeln eine fortschreitende Myopie. Merken Sie das auch in Ihrer täglichen Arbeit?
Definitiv. Gefühlt werden es von Woche zu Woche mehr Eltern, die sich hinsichtlich einer Kurzsichtigkeit bei ihren Kindern aufklären und beraten lassen. Das ist ein sehr emotionales Thema und man spürt eine gewisse Besorgnis bei den Eltern.
Wie nehmen Sie Eltern diese Unsicherheit?
Durch Aufklärung und rechtzeitige Maßnahmen. Denn eines ist wichtig zu wissen: Eine Kurzsichtigkeit lässt sich nur einbremsen, aber nie rückgängig machen. Generell merken wir, dass Eltern immer besser informiert sind, wenn es um das Thema Myopie geht. Somit gehen sie es zum Glück frühzeitig an.
Wie gehen Sie bei der Untersuchung von Kindern vor?
Wir haben uns schon vor mehreren Jahren auf Kinderoptometrie spezialisiert. Sie umfasst die Ermittlung der Sehstärke auf Basis eines genauen Augenscreenings beim Kind. Dabei prüfen wir altersgerecht mit objektiven Messmethoden die Augen. Uns sind sowohl die Sehleistung als auch das Zusammenspiel beider Augen sowie die räumliche Wahrnehmung sehr wichtig.
Im Anschluss beraten wir die Eltern über die eventuelle Notwendigkeit einer augenärztlichen Untersuchung, das Tragen einer Brille und/oder Kontaktlinsen sowie die Möglichkeiten des Augentrainings.
Dass Sie sich aufgrund Ihrer Erfahrungen in der Kinderoptometrie dem Myopie-Management zugewandt haben, ist dann nur noch eine logische Konsequenz, richtig?
Auf jeden Fall. Vor ca. zweieinhalb Jahren haben wir uns ein Gerät angeschafft, das wir für die Myopie-Kontrolle und das gesamte Myopie-Management einsetzen. Es misst und ermittelt die Refraktion, die Achslänge1 und die Keratometrie2. Diese Messkombination ermöglicht uns eine individuelle Beratung und Behandlung der Myopie und war der eigentliche Startpunkt für uns, Myopie-Management als eine unserer Leistungen intensiv anzubieten.
Bei einer Kurzsichtigkeit eines Kindes sagen wir den Eltern, dass es gut ist, dass sie zu uns gekommen sind und wir uns über das Thema unterhalten können und die nötigen Schritte unternehmen, um für die Augengesundheit des Kindes zu sorgen.
Wie alt sind die Kinder und jungen Teenager, die Sie wegen einer Kurzsichtigkeit versorgen?
Die jüngsten sind drei Jahre alt, nach oben hin gibt es fast keine Grenze. Man muss wissen, dass ein menschliches Auge wächst, bis das Alter von Anfang bis Mitte Zwanzig erreicht ist. Und vor allem junge Menschen fordern ihre Augen heute ja viel mehr als jemals zuvor mit einer sehr intensiven Nahtätigkeit. Diese kann die Entwicklung und das Fortschreiten einer Myopie begünstigen.
Können Sie bitte kurz erklären, wie Sie feststellen, ob ein Kind eine Myopie entwickeln kann?
Das ist von vielen Faktoren abhängig. Aber stellen wir uns mal ein Kind im Alter von sechs Jahren vor, dass 0 Dioptrien aufweist und damit nicht mehr weitsichtig genug ist. Da Kinder in diesem Alter noch +0,75 Dioptrien aufweisen sollten, deutet dies auf ein erhöhtes Myopie-Risiko hin. Wir sprechen dann von einem prä-myopen Auge.
In so einem Fall sprechen wir mit den Eltern und raten zu einer weiteren Kontrolle nach einem halben Jahr. Sollte das Kind dann sogar Minus-Werte aufzeigen, geht unsere klare Empfehlung zum Myopie-Management mit speziellen Brillengläsern oder mit Kontaktlinsen.
Was ist das Wichtigste für Sie, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher zu Ihnen kommt, das/der bereits eine starke Kurzsichtigkeit aufweist?
Aufklärung. Denn jede Dioptrie zählt. In diesen Fällen gilt, das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit zu verlangsamen oder so gut es geht zu stoppen, die Möglichkeiten dafür sind ja da. Wir erklären den Eltern auch gerne etwas zur aktuellen Studienlage und zur Myopie-Prävention.
An wen sollten sich Eltern wenden, wenn sie bemerken, dass mit dem Sehvermögen ihres Kindes etwas nicht in Ordnung ist – an den Augenarzt oder an den Augenoptiker?
Beides ist gut und richtig. Zu uns kommen zum Beispiel viele Eltern mit einem Brillenrezept vom Augenarzt, und wir prüfen dann eingehender, ob bei dem Kind eine leichte Weitsichtigkeit, eine Normalsichtigkeit (Emmetropie3) oder bereits eine leichte Kurzsichtigkeit vorliegt.
Eltern steht es aber völlig frei, gleich zu uns zu kommen und die Sehfähigkeit des Kindes durch uns beurteilen zu lassen.
Wenn bei Menschen eine Kurzsichtigkeit festgestellt wird, tragen sie für gewöhnlich ja eine Sehhilfe in Form einer Einstärkenbrille oder von Einstärkenkontaktlinsen. Warum reichen diese bei kurzsichtigen Kindern oftmals nicht aus?
Das hängt mit dem Wachstum des Auges zusammen und auch mit dem Alter des Kindes. Das Risiko, dass das Kind eine (starke) Kurzsichtigkeit entwickeln könnte, ist erhöht, wenn die ersten Anzeichen von Kurzsichtigkeit vor dem siebten Lebensjahr auftreten.4 Laut Studien kann die Entwicklung eines Augenlängenwachstums als normal bezeichnet werden, wenn ein Kinder im Alter von sechs Jahren noch eine Fernrefraktion von größer als +0,75 Dioptrie bzw. im Alter von sieben bis zehn Jahren größer als +0,5 Dioptrie aufweist. Liegt der Wert darunter oder gar schon im Minus-Bereich, weist das Kind ein Risiko für Myopie auf.5 In diesen Fällen ist ein Myopie-Management unbedingt ratsam, denn zahlreiche Humanstudien zeigen auf, dass eine Kurzsichtigkeit in diesem Alter deutlich verlangsamt werden kann, wenn das Kind dann eben keine „normalen“ Brillengläser oder Kontaktlinsen trägt, sondern zum Beispiel „Spezial-Brillengläser“ wie ZEISS MyoCare, die wir in unserem Geschäft führen.
Wie reagieren Kinder auf diese Brillengläser?
Bei Kindern ist grundsätzlich Feingefühl und Sensibilität gefragt. Wir bieten ja schon lange Kinderoptometrie an und haben einen guten Draht zu ihnen, daher können wir die Reaktionen von Kindern sehr gut einschätzen. Grundsätzlich kann ich sagen, dass die Kinder, die von uns ZEISS MyoCare Gläser bekommen, diese sehr gut annehmen. Natürlich ist das Sehen durch die Myopie-Brillengläser anders, zum Beispiel, was die Kontrastwahrnehmung im Randbereich der Gläser angeht. Aber Kinder gewöhnen sich an diese Gläser sehr schnell.
Nun kommen wir zu einem sensiblen Thema. Myopie-Brillengläser sind ja teurer als herkömmliche Einstärkengläser. Wie gehen Eltern damit um?
Ja, es ist richtig, dass Myopie-Sehhilfen teurer sind. Das gilt für sogenannte Ortho-K Kontaktlinsen oder Brillengläser gleichermaßen. Eine Brille – Gestell und Gläser – kann auch mal bis zu 800 Euro kosten. Aber wir zum Beispiel bieten einen Abo-Preis an. Damit belaufen sich die monatlichen Kosten auf 50 bis 65 Euro. Und darin enthalten ist nicht nur die Brille, sondern das gesamte Paket drumherum, also das Myopie-Management inklusive der Kontrollen und auch der Ersatz der Brille, falls sie kaputt geht. So ein Abo-Modell ist für viele Eltern eine gute Option, die gerne angenommen wird.
Herr Petzold, wir bedanken uns herzlich für dieses Gespräch.
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1
Die Achslänge des Auges ist ein fundamentaler Parameter in der Augenheilkunde, der die Gesamtlänge des Auges von der Hornhautoberfläche bis zur Netzhaut beschreibt. Diese Messgröße ist entscheidend für das Verständnis und die Behandlung verschiedener Sehbedingungen und ein wichtiger Schritt im Myopie-Management.
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2
Die Keratometrie ist die Vermessung der Hornhaut (Hornhautdurchmesser und Astigmatismus).
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3
Die Emmetropie beschreibt den optischen Idealzustand eines Auges – es liegt also keinerlei Fehlsichtigkeit wie eine Kurz- oder Weitsichtigkeit vor.
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4
Rudnicka AR, Kapetanakis VV, Wathern AK, et al. Globale Variationen und zeitliche Trends in der Verbreitung von Myopie bei Kindern: Eine systematische Überprüfung und quantitative Metaanalyse: Implikationen für die Ätiologie und frühe Prävention. Br J Ophthalmol. 2016; 100: 882–890.
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5
MI-Clinical-Myopia-Management-Guidelines_FINAL_German_MJ.pdf (myopiainstitute.org)
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6
Mutti, D.O., et al., Parental myopia, near work, school achievement, and children’s refractive error. Invest Ophthalmol Vis Sci, 2002. 43(12): p. 3633-40.